Rezension

Einfach nur ein Highlight

He Who Drowned the World (Der strahlende Kaiser II) -

He Who Drowned the World (Der strahlende Kaiser II)
von Shelley Parker-Chan

„Wie konnte er in diesem Moment noch etwas anderes als Erleichterung empfinden? Doch auf seinem Gesicht lag unverkennbar der triumphierende Ausdruck eines Mannes, der sich das Äußerste abverlangt hatte - und zwar ohne Furcht, weil er gewusst hatte, dass er stark genug war, um durchzuhalten. Um zu überleben.“ 

 

Der Abschlussband der Dilogie um den Aufstieg der Ming-Dynastie war eine Wucht. Und ich schreibe nicht von einer kleinen Silvesterknallerexplosion - nein, dieser Roman, tief verwurzelt in der chinesischen und mongolischen Geschichte, kommt über euch wie ein Tsunami, verschlingt euch mit ungeahnter Wucht und spuckt euch durchnässt und verwirrt wieder aus, ein Bündel aus Emotionen 

 

Zhu hat nach ihrem eindrucksvollen Sieg das mongolische Herrscherhaus aus dem Süden Chinas vertrieben und herrscht nun als strahlender König. Doch sie will den Kaiserthron des Reiches Groß-Yuan. Nach dem tödlichen Verrat an Esen haben sowohl Ouyang, Esens Vertrauter, als auch sein jüngerer Bruder mit dem Tod zu kämpfen - und diese Abgründe waren für mich unglaublich fesselnd. 

 

Je näher sie - auf unterschiedlichen Wegen - der Kaiserstadt kommen, desto tiefer, desto unergründlicher werden diese Abgründe. Die zentrale Frage ist eigentlich, wie soll man weiterleben, wenn an den Händen das Blut von Menschen klebt, die man geliebt und mit denen man sein Leben geteilt hat. Und diese Frage hat Parker-Chan wirklich minutiös in seine Einzelteile zerlegt. So tief, wie sie in diese Thematik eindringt, blieb mir das Herz stehen. Kummer, Gram, Wut, Schmerz - ich habe alles mit ihnen durchlebt. Obwohl ich ihnen nie verzeihen kann, was sie im ersten Band getan haben. Aber mein Verständnis wuchs. 

 

Haben wir schon viele Szenen aus Ouyangs Sicht im ersten Buch erlebt, kommt nun noch die Perspektive von Wang Baoxiang hinzu - mit Abstand einer der spannendsten, widersprüchlichsten Charaktere im gesamten Buch und gleichzeitig auch ziemlich faszinierend. Welche Schläge haben ihn zu dem Menschen gemacht, der gegen seinen Bruder intrigieren kann? Sein Weg, sein Zweifel, seine Abgründe habe ich atemlos erkundet. Ich wollte ihn hassen. Es ist mir nicht gelungen. Genauso Ouyang mit seinem Hass, seinem Zwiespalt, seinem Schmerz, den er brauchte, um sich von seinem seelischen Schmerz abzulenken. Gegen diese beiden rückte Zhu beinahe ein wenig in den Hintergrund (keine Sorge, Parker-Chan stellt sie rechtzeitig wieder in den Vordergrund). Warum haben so zorn- und hassgeprägte Figuren für mich, die eigentlich den lieben Sidekicks und technikafinen Nerds ihr Herz schenkt, trotzdem so gut funktioniert. Parker-Chan schreibt sie wahrhaftig. Man kann jede ihrer grausamen Taten nachvollziehen. Ich bin jeden qualvollen Schritt mit ihnen gegangen - und das hat dieses Buch für mich zu so einem monumentalen Werk gemacht. Zudem wird in diesem Band genau wie im letzten mit der (sexuellen) Identität gespielt. Wer bin ich? Wer will ich sein und wie verhalte ich mich, dass man mich mit diesen Attributen wahrnimmt. Ein sehr spannender, gleichzeitig auch schockierender Aspekt des Romans.  

 

Außerdem hat mich der Hauch Phantastik in diesem Roman beeindruckt - die allgegenwärtigen Geister, die die Protagonisten heimgesucht haben. Das feurige Mandat, das in ihnen schlummerte. Genau das richtige Maß für einen Roman diesen Formates. 

 

Das Buch ist eine Studie der Abgründe der menschlichen Seele. Liebe, Hass, Schmerz, vermengt zu einer wilden Mischung, eingebettet in den Fall der mongolischen Herrschaft über China. Am Ende liegt das Urteil beim Leser - rechtfertigt das Ergebnis, das wir aus der Geschichte kennen, all die grausamen Taten?