Rezension

Einfach unvergleichlich

Der unvergleichliche Ivan
von Katherine Applegate

„Sich nicht zu erinnern, ist gar nicht so einfach,

aber ich hatte eine ganze Menge Zeit zum Üben.“

 

So lebt Gorilla Ivan  9855 Tage lang in der Zirkus-Mall nahe der Autobahn-Ausfahrt 8. Ganz allein in einem Käfig eingesperrt, hat er also sehr viel Zeit, die menschliche Sprache verstehen zu lernen und genug Muße, die Menschen zu beobachten, die kommen, um ihn zu sehen. Der Leser nimmt Anteil an den (fast schon philosophischen) Gedanken des unvergleichlichen Gorillas über Homo Sapiens und seine Eigenschaften und betrachtet seine eigene Gattung hier einmal aus der Distanz zu sich selbst, mit dem kritischen Blick Ivans.

 

In unterschiedlich kurzen Kapiteln schildert die Autorin das einsame, eintönige Dasein des Gorillas und seine Gespräche mit der Elefantendame Stella, die sein Gefangenen-Schicksal teilt, aber auch in dem Zirkus auftreten muss. Dann ist da noch Bob, ein kleiner, streunender Hund, der freiwillig bei Ivan Unterschlupf sucht und aufgrund der bitteren Erfahrungen, die er als Welpe mit den Menschen gemacht hat, die menschliche Kultur sehr sarkastisch analysiert. Eine Art Vermittlerrolle zwischen Mensch und Tier spielt Julia, ein kleines Mädchen mit viel Einfühlungsvermögen und Fantasie.

Als eines Tages Elefantenbaby Ruby als Neuerwerbung in den Zirkus kommt und Ivan miterlebt, wie sie für ihren Auftritt gedrillt wird, kommt langsam seine Erinnerung zurück an das, was es bedeutet, ein Silberrücken zu sein. Sein Beschützerinstinkt erwacht, er will die Initiative ergreifen. Aber kann ein Gorilla einem kleinen Elefanten eine bessere Zukunft verschaffen?

 

Die Autorin passt ihre Sprache dem „Denken“ des Gorillas an. Sie ist ruhig und schlicht, mutet naiv an, nicht ohne Humor. Ihre Sätze sind unkompliziert aber treffend formuliert. Katherine Applegate geht absolut nicht verschwenderisch mit Worten um (wie Ivan es bei den Menschen ansonsten bemängelt) und löst gerade dadurch beim Leser Gefühle aus.

 

Etwas wehmütig, aber ohne Selbstmitleid, schildert Ivan sein Leben, ein Sinn-entfremdetes Leben, das von Zirkusmanager Mack vermarktet wird. Die ausdrucksstarken computergenerierten Illustrationen von Patricia Castelao lassen uns die Geschichte noch intensiver erleben.

 

Im Jahr 2013 hat Katherine Applegate mit diesem Buch über Ivan, der tatsächlich zunächst in Tacoma, später in Atlanta gelebt hat und dort zu Berühmtheit gelangte, den höchsten Kinderbuchpreis  Amerikas gewonnen, die John Newbury Medal.

Ihr Buch rüttelt auf, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben oder zu belehren. Applegates unausgesprochener Appell geht jedem Leser nahe: Tiere sind keine Objekte, auch sie haben Gefühle. Sie haben ein Recht auf ein artgerechtes Leben.

 

Das Buch hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck, eine nachdenkliche, melancholische Stimmung. Und der Leser wird sich noch lange an den unvergleichlichen Ivan und sein Schicksal erinnern.