Rezension

Einfühlsam, authentisch und inspirierend, mit leider vor sich hin plätscherndem Mittelteil.

Und dann kamst du - Heike Abidi

Und dann kamst du
von Heike Abidi

»Und dann kamst du« hat mich sowohl vom Cover als auch vom Klappentext her auf Anhieb angesprochen, weil beides eine vielversprechende, süße und berührende Liebesgeschichte andeutet. Claires Geschichte als Liebesgeschichte abzufertigen, ist aber der falsche Ansatz, denn eigentlich nimmt besagte Liebesgeschichte nur einen winzigen Teil des Buches ein. Vielmehr geht es um die Suche nach sich selbst, wie man es bewerkstelligt, den Tod eines geliebten Menschen zu verarbeiten, und wie man den Mut aufbringt, Neues zu wagen. Die Charakterentwicklung von Claire steht klar im Vorderpunkt und wird auf einfühlsame, authentische und inspirierende Weise behandelt.

Den Titel »Und dann kamst du« halte ich für perfekt gewählt, denn er fängt schön ein, worum es geht: Die schicksalhafte Begegnung mit einem Fremden, die so viel Eindruck bei unserer Protagonistin hinterlässt, dass sie sich vornimmt, ihn zu finden, entpuppt sich als der Anstoß, der sie nach dem tragischen Tod ihres Bruders aus ihrem Schneckenhaus herausholt. Die Suche nach Sam vermischt sich schließlich mit der Suche nach sich selbst, denn nachdem sie sich zuvor immer nur als Hälfte eines Zwillingspaares definiert hat, ist es nun an der Zeit, herauszufinden, wer sie als Individuum ist.

Der Schreibstil des Buches liest sich sehr angenehm und ist vor allem am Anfang und am Ende sehr berührend. Claires Trauer angesichts des Todes ihres Bruders ist beim Lesen auf mich übergegangen, weil Heike Abidi sie eindringlich und glaubwürdig beschreibt. Allgemein behandelt sie die Thematik der Trauerbewältigung feinfühlig und authentisch, sodass man sich als Leser nicht nur gut in Claire hineinversetzen kann, sondern gleichzeitig auch Mut und Hoffnung schöpft. Claires Persönlichkeit leistet dazu ihr Übriges, denn sie ist nicht nur sympathisch, sondern auch sehr selbstreflektiert, was für ihren Entwicklungsprozess enorm wichtig ist.

Ihre ständige Selbstreflexion lässt mich darum auch verzeihen, dass ich gelegentlich einen etwas grenzwertigen Eindruck von ihrem Verhalten bekommen habe. In Bezug auf Sam verhält sie sich leicht „stalkerhaft“, was bei mir immer wieder etwas Unbehaglichkeit ausgelöst hat. Deshalb graute es mir ein wenig vor Sams Reaktion, denn ich persönlich hätte Claires Verhalten wohl reichlich merkwürdig gefunden. Das wurde dadurch wett gemacht, dass sich Claire dessen bewusst ist und ihr Handeln stets reflektiert. Unzurechnungsfähig ist sie also definitiv nicht, ihr Verhalten ist Ausdruck ihrer Trauer und das macht ihre leichte „Besessenheit“ von Sam zumindest verständlich.

Sowohl der Anfang als auch das Ende des Buches haben mir sehr gut gefallen, denn beide Abschnitte bieten sowohl traurige als auch schöne Momente, die mich berühren konnten. Im Mittelteil (und damit leider auch im größten Teil des Buches) konnte der Funke aber leider nicht auf mich überspringen. Die Handlung ist realistisch, aber vielleicht sogar zu realistisch, denn sie plätschert recht ruhig vor sich hin. In diesem Abschnitt fehlten mir eindeutig Spannung und große Emotionen, es war alles zu „gewöhnlich“. Gelangweilt habe ich mich beim Lesen zwar nicht, aber es war leider auch nicht der Drang da, unbedingt weiterlesen zu wollen.

Mein eigentlich rundum positiver Eindruck vom Ende wurde dann zwar nochmal durch eine winzige Kleinigkeit getrübt, weil sie für mich etwas zu viel und diesmal vielleicht sogar unrealistisch war, aber das Buch hinterlässt ein schönes Gefühl und spendet im Rückblick sowohl Hoffnung als auch Mut. Vor allem Schülern, die kurz vor dem Abschluss stehen und vielleicht noch nicht wissen, was sie werden möchten, vermittelt das Buch sehr schön, dass man sich deshalb nicht stressen sollte und man seinen Weg schon finden wird.

Fazit

»Und dann kamst du« bietet wirklich schöne, Mut und Hoffnung spendende, inspirierende und authentische Momente auf, weil Heike Abidi sehr einfühlsam von Claires Trauerbewältigung und ihrer Suche nach sich selbst erzählt. Aufgrund des ruhigen, eher vor sich hin plätschernden Mittelteils ist mein Gesamteindruck aber leider etwas getrübt, sodass es für mich nur 3,5 Sterne mit leichter Tendenz nach oben sind.