Rezension

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Einfühlsam, melancholisch und für mich absolut überraschend schön

Alice, wie Daniel sie sah - Sarah Butler

Alice, wie Daniel sie sah
von Sarah Butler

Einfühlsam, ja geradezu poetisch, erzählt die Autorin aus der Sicht vom obdachlosen Daniel, der seine Tochter Alice noch nie gesehen hat. Er sucht sie schon ihr ganzes Leben, kennt aber nur ihren Namen. Durch einen Zufall findet er heraus wo er sie treffen kann und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Bis er sie tatsächlich findet, und bevor er mit ihr redet, ist er sich sicher, dass er ihr die Wahrheit über seine Identität sagen muss. Aber die bedingungslose Liebe zu ihr lässt ihn plötzlich daran zweifeln.

Auch aus der Sicht von Alice erfahren wir einiges. Alices Mutter starb bei einem Autounfall als sie 4 war. Sie gibt sich sogar die Schuld daran, denn die Mutter wollte sie vom Ballet Unterricht abholen. Alice reist viel durch die Welt und hält es nirgendwo lange aus. Sie kommt nur in ihre Heimatstadt London zurück, um sich von ihrem sterbenden Vater zu verabschieden. Sie weiß nicht wie lange sie bleiben wird, verspricht aber ihren beiden Schwestern sich um den Verkauf des väterlichen Hauses zu kümmern. Daß er gar nicht ihr leiblicher Vater ist weiß sie nicht. Sie wunderte sich nur als Kind schon, dass der Vater sie scheinbar anders behandelt, und anders sieht als ihre beiden Schwestern Tilly und Cee. Sie findet aber nicht den leisesten Ansatz einer Erklärung dafür.

Die Schwestern ihrerseits wissen die Wahrheit über das Kuckuckskind.

Alle Personen, außer der spießigen, etwas unterkühlten Cee, die eine funktionierende Familie hat, gibt es deutliche Parallelen zwischen den einzelnen Personen. Eine Liebe, die nicht sein darf und in der man immer nur das 3. Rad am Wagen ist:
Da ist zunächst Daniel. Er war der Geliebte von Alices Mutter. Sie verließ ihn, und blieb bei ihrer Familie, als sie mit Alice schwanger wurde. Für Daniel brach eine Welt zusammen.

Dann haben wir Tilly, die ebenfalls nur eine Geliebte eines verheirateten Mannes ist, der sich niemals von seiner Frau trennen würde. Tilly allein versteht Alice und ist für sie manchmal der einzige Rückhalt.

Und zum Schluss natürlich Alice, die einen Inder liebt, der nicht zu seiner interkulturellen Beziehung stehen darf, da ihn dann seine Familie verstoßen würde. Also verheimlicht er seine Freundin, was zu einer schmerzhaften Trennung durch Alice führt, die diese Situation nicht ertragen kann. Aber eigentlich lieben sich die beiden noch.

Nur Cee hat eine intakte Familie, ist dafür aber extrem unterkühlt und hat wenig Verständnis für ihre Schwestern und deren Liebschaften. Würde ich sie als herzlos bezeichnen, verkenne damit die eigentliche Fürsorge für ihre Schwestern.

Meine Meinung:

Dieses Buch bedient keine kitschige Vater-findet-Tochter-Geschichte. Sie ist vielmehr ein gefühlvolles Werk, das mich sehr tief in sich hineingesogen hat. Ich kann die Faszination an diesem Buch gar nicht auf den Punkt bringen. Es hat mich einfach nur gefesselt, diesen verzweifelt suchenden Vater in seine Gedankenwelt zu begleiten. Die Autorin lässt uns tief in die Seele einiger Suchender schauen.

Der Leser wird hin und her gerissen zwischen dem „Jetzt haut einer die Wahrheit raus“ und „sie erfährt es doch nicht“, „wird er ihr etwas sagen bevor sein schwaches Herz aufgibt“ oder „Werden die Schwestern ihr düsteres Geheimnis verraten“…etc.. Das hielt das Buch für mich jederzeit auf einem hohen Spannungslevel.

Sehr herausgestochen ist für mich, dass Alice und Daniel sich charakterlich ähnlich sind. Dies wird in meinen Augen (ich mag es mir auch nur einbilden!) weniger durch klar beschriebene Charakterzüge verdeutlicht als vielmehr durch die Erwähnung von Farben ganz subtil zum Ausdruck gebracht. Während es bei Alice nur von außen beschrieben Erwähnung findet, ist es bei Daniel absolut durchgeplant, funktioniert nach festen Regeln und stammt aus seiner persönlichen Gedankenwelt, die ihn teilweise sehr verschroben wirken lässt, aber trotzdem jederzeit sympathisch.

Fazit:
Die Geschichte hat mich überzeugt und ich gratuliere der Autorin, dass sie ein Werk geschaffen hat, daß nicht vor Klischees trieft aber durchaus Herz und jede Menge Verstand hat. Ein tolles Buch mit fabelhaften Gedankengängen!