Rezension

Einfühlsam, spannend, berührend

Carolina Love -

Carolina Love
von Caitlyn Young

Bewertet mit 4.5 Sternen

...sich auch noch verlieben, wenn das Leben "mitten zwischendrin" stattfindet?! Das kann ganz schön kompliziert werden!

>>>INHALT

Lisas Leben befindet sich in einer gelinde gesagt schwierigen Phase: Sie hat kürzlich ihre Mutter verloren; das Studium ist beendet, aber noch kein Beruf bzw. Job in Sicht und sie muss sich mit rätselhaften Andeutungen ihrer Mutter auseinandersetzen, die diese auf dem Sterbebett gemacht hat. Mit ihren beiden besten Freundinnen Lynn und Kristen macht sich Lisa auf eine Reise in ihre Vergangenheit nach Carolina, wo sie aufgewachsen ist. Für sie fühlt sich das wie ein Nachhausekommen an, beruhigend und Geborgenheit schenkend. Ganz anders fällt die Wirkung der Informationen aus, die sie im Verlauf der Reise findet. Aufgrund der letzten Wünsche ihrer Mutter besucht sie ihre Tante, die wiederum gibt nur einen rätselhaften Hinweis auf eine weitere Person.

Lisa, die sich selbst in dieser Phase voller Offenbarungen und Unsicherheiten fremd wird, ist neben allen Fragen zu ihrer eigenen Herkunft auch noch mit dem Phänomen konfrontiert, dass sie das erste Mal spontan sehr viel für einen jungen Mann empfindet, dem sie begegnet. Liebe unter diesen Umständen? Dann auch noch mit dem Verdacht konfrontiert, dass es sich um eine verbotene Liebe handeln könnte, weil sie sich auf einen nahen Blutsverwandten bezieht?

Lisa fühlt sich von all diesen Eindrücken und Erkenntnissen zunächst total überfordert. Sie flüchtet daher aus Carolina zurück nach Michigan in einen Aushilfsjob, in ein provisorisches Quartier.

Es kostet die junge Frau viel Kraft, schließlich Stellung zu beziehen und zu ihren Gefühlen zu stehen - aber es lohnt sich.

>>>MITTEN DAZWISCHEN

Caitlyn Young hat in ihrem Roman sehr sensibel eine Zeit im Leben eines jungen Menschen (oder genauer gesagt mehrerer junger Menschen) beschrieben, die man im Volksmund auch gern als "zwischen Baum und Borke befindlich" bezeichnet: Es gibt sie immer wieder im Leben, diese Phasen der Übergänge, der Unsicherheit, der Neuordnung und Neuorientierung. Das geschieht das erste Mal wahrscheinlich schon, wenn ein Kind die Hand der Mutter loslässt, um erste eigene Schritte zu unternehmen. Eine ähnliche Phase spielt sich ab, wenn die Kindergartenzeit endet und die Phase als Schulkind noch nicht begonnen hat. Später zwischen der Grundschule und der weiterführenden Schule. Nach dem Schulabschluss und vor Aufnahme einer Berufsausbildung. Im Rahmen gesundheitlicher Krisen sei es nach Unfall oder Krankheit, entstehen ähnliche Übergangszeiten, die schwierige Herausforderung an einen Menschen stellen, egal wie alt oder wie jung man ist. Schicksalsschläge wie der Verlust eines geliebten Menschen mit der anschließenden Trauerarbeit stellen ein weiteres Minenfeld voller "Grenzgebiete" dar - und selbstverständlich sind Beziehungen in jeder Hinsicht "grenzwertig", indem sie zwischen dem alten Ich und neuen Wir Menschen fordern, überfordern, herausfordern.

In der Regel sind diese Zeiten schwierig zu bewältigen, vor allen Dingen, wenn, wie bei Lisa, der Hauptfigur von Carolina Love, viele dieser Phasen sich überschneiden: Lisas Studium ist beendet, noch kein Beruf gefunden, ihre Mutter ist früh an Krebs verstorben und es droht die Trennung von ihren beiden besten Freundinnen, die wichtige Fixpunkte in Lisas Existenz darstellen, da deren weiterer Lebensweg sie absehbar einfach geografisch von ihr forttragen wird. So ist das eben.

Caitlyn Young bleibt aber nicht dabei stehen, in ihrem Roman das Leben zu schildern, wie sich oftmals abspielt. Schließlich erfahren genau das Leser tagtäglich, bezeichnen es als Alltag und emfinden dieses Dasein ohne besondere Höhe- oder Knackpunkte eher als langweilig. Davon will keiner lesen. Daraus lernt man nichts, erweitert nicht den persönlichen Horizont. Eine solche Szenerie ist ja für jeden Tag für Tag Lebensrealität. Die Autorin benutzt deshalb die Biografie ihrer Hauptfigur in Carolina Love, Lisa, wie eine Art Brennglas, in dessen Focus sich zahlreiche außergewöhnliche Problemlagen begegnen & überlagern sowie gegenseitig beeinflussen. Spannend zu lesen, weil extrem.

Hier muss ein Schriftsteller genau abwägen, was ein Leser noch als plausibel durchgehen lässt. Eine Story darf nicht beliebig kompliziert konzipiert, nicht überfrachtet werden. Ja, Caitlyn Young fordert vom Leser schon eine Portion Fantasie, überspannt aber den Bogen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit der Ereignisse, die sie im Rahmen ihres Romans schildert, nicht über Gebühr. Das ist zumindest meine Meinung. 

>>>ZEITEN DES ÜBERGANGS SIND SPANNENDE ZEITEN

Meine inzwischen 60-jährige Lebenserfahrung hat mir gezeigt: Menschen entwickeln sich nicht, während sie in einer Routine leben. Routine bedeutet in mancherlei Hinsicht Stillstand.

Krisen sind es, besondere Zeiten und Herausforderungen, die uns als Mensch helfen, uns zu entwickeln, zu neuen Standpunkten und Einsichten zu kommen, das Leben aus anderen Blickwinkeln zu betrachten und anzupacken.

Manchmal hatte ich bei der Lektüre des Romans das Gefühl, dass die Handlung mich als Leser etwas strapaziert, weil Lisa nur sehr mühsam und allmählich dazu kommt, diese neuen Blickwinkel an- bzw. wahrzunehmen.

Das verhält sich im wirklichen Leben in der Tat so: Oftmals wirkt das Neue furchteinflößend, abschreckend - und wir weichen aus. Hier ist das Werk durchaus realitätsnah und nutzt unsere Scheu vor unbekannten Herausforderungen in der Figur der Lisa, um schlichtweg Spannung bei der Lektüre zu erzeugen: Mein Gott, die zögert ja immer noch ...! Was tut sie als Nächstes? Findet sie endlich den Mut zu einem Aufbruch? Diese Fragen begleiteten mich beim Lesen immer wieder.

Genau darin besteht die Kunst, ein gutes Buch zu schreiben: Wenn Leser:Innen emotional involviert werden, ist ein wichtiges Ziel erreicht! Ich vermute ganz stark, dass meine Gefühle bei der Lektüre von Carolina Love von anderen Lesern durchaus geteilt werden.

>>>EINE VERSIERTE AMERIKA-KENNERIN AM WERK

Auch in diesem Roman beweist Caitlyn Young, dass sie eine gute Kennerin der USA ist und dort selbst Erfahrungen gesammelt hat. Beispielsweise die Schilderung der Raumdüfte, die in den Staaten gern und oft vernebelt werden, ist ein Beleg dafür. Die Beschreibung der Strände - eines Restaurants, das ganzjährig Weihnachtsdekoration zumutet - der bereitwillige Griff zur Kopfschmerztablette - das Pendeln zwischen zwei weit voneinander entfernten Orten mit dem Auto, das erstaunlich viel Zeit in Anspruch nimmt - die tiefe Verwurzelung in einer christlichen Gemeinde: All das und noch viel mehr sind Indikatoren für die Vertrautheit mit den Gegebenheiten des Lebens in den Vereinigten Staaten. Diese zutreffenden Beschreibungen kommen nicht aufdringlich daher, sondern unterlegen die Geschichte und verleihen ihr ganz diskret, aber gekonnt, viel Authentizität.

>>>ZARTE BANDE 

In Zeiten, in denen es im Genre Liebesroman vielfach üblich ist, explizit Liebesszenen in ausgesprochen saftigen Details zu beschreiben, empfinde ich die zarten, aquarellartigen Darstellungen von Caitlyn Young als angenehm: An der Schlafzimmertür lässt sie ihr junges Paar in diesem Roman allein.

Viel wichtiger als die Details im Sexualleben der beiden ist mir persönlich übrigens, wie sie überhaupt dazu kommen, miteinander intim zu werden, und zu erfahren, was das für sie bedeutet.

>>>SPRACHLICH SPIELRAUM NACH OBEN

Ein bisschen enttäuscht war ich davon, dass der Roman meinem Empfinden nach sprachlich ausgefeilter daher kommen könnte. Ich bin ein Fan der Verwendung von ausdrucksstarken Vollverben anstelle der immer vergleichsweise vage bleibenden Formulierungen über sein und haben.

Inzwischen lese ich allerdings immer mehr Romane, in denen diese Hilfsverben den Hauptteil oder einen sehr großen Anteil unter allen verwendeten Verben ausmachen. Vielleicht bin ich hoffnungslos antiquiert und das Publikum verlangt inzwischen diesen etwas vereinfachenden / vereinfachten Sprachstil? Mein Baujahr liegt ja schon eine Weile zurück ... ;-)

Ich denke: Wenn ich etwas hervorragend auf den Punkt gebracht ausdrücken kann, warum sollte ich mich dann mit einer mittelmäßigen Formulierung begnügen? Deutsch ist eine der am besten ausgebauten Sprachen der Welt - das darf man beim Lesen spüren und sollte man als Autor nutzen. Dementsprechend war mein Lesegenuss bei Carolina Love ein wenig getrübt, weil phasenweise doch sehr viele Hilfsverben den Text ausmachten.

Das ändert nichts daran, dass die Story gut erzählt, präzise entwickelt und mitreißend ist. Wie viel fesselnder könnte sie sein, besäße die verwendete Sprache eine größere Ausdrucksstärke ...? 

>>>FAZIT

Für ein großes Lesevergnügen, viele Emotionen, die ich miterleben durfte und eine ebenso authentische wie sympathische Hauptfigur, die sich auf vielen Konfliktfeldern gleichzeitig bewähren muss, gerne 4,5  Sterne.