Rezension

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Einfühlsam und berührend erzählt

Für immer Blue - Amy Harmon

Für immer Blue
von Amy Harmon

Bewertet mit 4.5 Sternen

Inhalt

Blue ist nicht gerade das, was man als umgänglichen Menschen bezeichnen würde. Bei ihren Mitschülern hat sie den Ruf, eine Schlampe zu sein, bei ihren Lehrern ist sie das aufmüpfige Mädchen, das immer Kontra gibt. Keiner würde ihr eine glorreiche Zukunft prophezeien. Einzig allein Darcy Wilson sieht in ihr das Potenzial, das in ihr steckt. Er ist der Einzige, der hinter ihre coole Fassade schaut und an sie glaubt. Er gibt ihr Zuversicht, das Gefühl, verstanden zu werden. Und je mehr Zeit sie mit ihm verbringt, desto weniger lassen sich ihre Gefühle für ihn verdrängen. Doch wenn sie diese Grenze überschreitet, gibt es kein Zurück. Wenn sie diese Grenze überschreitet, bringt sie sie beide in Schwierigkeiten - denn Wilson ist ihr Lehrer.

Meine Meinung

Ich weiß nicht ganz, was es über mich aussagt, dass mich an "Für immer Blue" neben der Autorin vor allem das Thema "verbotenes Lehrer-Schüler-Verhältnis" gereizt hat. Gleichzeitig hatte ich einige Bedenken, denn das Thema kann - wenn man es falsch angeht - schnell anstößig bzw. abstoßend und/oder oberflächlich geraten. Das war hier zum Glück nicht der Fall. Harmon beweist viel Fingerspitzengefühl, geht auf ihre Charaktere ein, sodass man sie versteht, lässt Gefühle nur zaghaft wachsen und vor allem lässt sie Blue Darcy sich in Zurückhaltung üben. Sie verbringen zwar viel Zeit miteinander und führen Gespräche, die man eher als privat einstufen würde, aber sie überschreiten lange Zeit nicht die Grenze zu etwas Romantischem. Annäherungsversuche gibt es in dem Sinne nicht. Über weite Strecken (über die Hälfte des Buches) spielen körperliche Nähe oder Lustgefühle eigentlich keine Rolle. Man erlebt keinen liebeskranken Teenager, der sich nach Aufmerksamkeit verzehrt und aus einer Schwärmerei mehr macht, als sie ist. Stattdessen lernt man eine junge Frau kennen, die mit einer Menge Mist in ihrem Leben zu kämpfen hatte und noch zu kämpfen hat und endlich jemanden gefunden hat, der ihr die Zuversicht gibt, dass ihr die Welt offen steht. Das Ganze spielt sich - zumindest zu Beginn - auf rein emotionaler Ebene ab. Geborgenheit und gegenseitiges Verständnis sind viel wichtiger. Harmon hat mir hier etwas vermittelt, was mir Colleen Hoover mit ihrer Will-und-Layken-Geschichte nicht vermitteln konnte: Intimität, die rein gar nichts mit Lust zu tun. Vielleicht habe ich Blue und Darcy deswegen ihre Gefühle deutlich mehr abgekauft und habe wesentlich mehr mit ihnen mitgefiebert.
Letzten Endes klingt der Klappentext aber auch weitaus skandalöser, als der Inhalt tatsächlich ist. Zum einen wird das Heikle dadurch abgeschwächt, dass Blue zwar noch Schülerin ist, aber bereits 19 oder 20 Jahre alt (ja, das ist aufgrund ihrer vertrakten Familienverhältnisse möglich); und Darcy Williams ist zwar ihr Lehrer, aber gerade mal 22 Jahre alt (das wiederum hat mit seiner Intelligenz zu tun). Zum anderen (Vorsicht Mini-Spoiler!) erfolgt nach einem Drittel des Buches eine Art Cut, als Blue die Highschool beendet und somit das Lehrer-Schüler-Verhältnis aufgelöst wird. Die beiden verbringen dennoch viel Zeit miteinander, weil Darcy Blue aufgrund ihrer misslichen Lage unter die Arme greift. Ab diesem Moment ist ein deutlicher Wandel im Gefühlsleben, aber auch in Harmons Erzählstil spührbar. Zumindest habe ich ihn als etwas erwachsener empfunden.
Dass Blue und Darcy rein rechtlich nichts mehr im Weg steht, bedeutet aber nicht, dass sie es sich nicht schwerer machen, als es sein müsste. Es folgen lange Wartezeiten, Phasen, in denen sie sogar auf Abstand gehen, Vorwürfe und Streitereien. Aus der Distanz betrachtet wirkt es wie eine unnötige Herauszögerung des Unvermeidlichen, beim Lesen empfindet man es aber keineswegs so. Das Tempo war vollkommen angemessen, insbesondere da Blue auch noch ganz andere Dinge zu verarbeiten hat. Das wiederum bringt mich zum nächsten Punkt.
Um hier keinen falschen Eindruck zu vermitteln: Es geht nicht ausschließlich um Liebe. Viel wichtiger sind eigentlich die Themen Familie, Identitätsfindung und Selbstakzeptanz, die sich durch das ganze Buch ziehen. Wie oben erwähnt sind Blues familiäre Verhältnisse sehr vertrakt, da sie nicht weiß, wer ihre Eltern sind und bei diversen Pflegeeltern aufgewachsen ist. Diese Ungewissheit nagt an ihr und beeinflusst all ihre Entscheidungen, auch jene, die mit Darcy in Verbindung stehen. Im Grunde ist das der Hauptkonflikt der Story, was sie in meinen Augen weitaus vielschichtiger macht, als sie es ausschließlich mit dem Liebesdilemma gewesen wäre.

Mein Fazit

Einer der Gründe, warum ich Amy Harmons Bücher so gerne lese, ist, dass ihre Geschichten zwar im Kern immer um dieselben Themen kreisen (Liebe und Selbstliebe), aber auch immer eine ganz eigene Note haben. Die Plotentwürfe ähneln sich allenfalls entfernt, jeder ihrer Charaktere ist einzigartig und gut ausgearbeitet, dass man sich als Leser in die Figur und die Story hineinfühlen kann. Deswegen werde ich ihrer Werke auch nicht überdrüssig. "Für immer Blue" bildet da keine Ausnahme.

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