Rezension

Einfühlsam und wunderschön

Dankbarkeiten - Delphine de Vigan

Dankbarkeiten
von Delphine de Vigan

Bewertet mit 5 Sternen

Es geht um das Bewusstsein, dass ein Leben immer von anderen abhängig ist und sein wird.
Dass es Versäumnisse geben kann, die unkorrigierbar bleiben.
So wie im Leben der alt gewordenen Michka, die als Kind einst von einer Familie aufgenommen wurde, die in den Wirren des tobenden Krieges von ihrer Mutter verlassen wurde. Einer Jüdin die auf der Flucht war.
Jetzt wohnt Michka in einem Seniorenheim und zunehmend quält sie der Gedanke sich bei ihren Rettern nie bedankt zu haben. Dazu kommt das sie so langsam ihre Worte verliert. Sie, die früher mal so viel mit Worten gearbeitet hat. Immer ist sie auf der Suche nach Wörtern, ersetzt sie durch ähnlich klingende.

Die Autorin beschreibt dieses Schreckliche so behutsam und schön.
Mit Sätzen wie:

Alt werden heißt verlieren lernen.
Das verlieren, was einem geschenkt wurde, wofür man gekämpft hat,
und wo von man geglaubt hat, man würde es für immer behalten.
Sich neu anpassen.
Sich neu organisieren.
Ohne zurechtzukommen.
Darüber hinweggehen.
Nichts mehr zu verlieren haben.
Was bleibt, wenn die Sprache nicht mehr da ist?

Michka hat Angst das alles zu verlieren, ohne sich vorher noch richtig bedankt zu haben.
Es gibt dann auch noch Marie, die schon in der Wohnung für sie sorgte. Michka hat sich viel um Marie gekümmert. Sie war wie eine Mutter für sie, weil Maries eigene Mutter kaum da oder einfach überfordert war.
Und Jérôme, der Logopäde, der Michka zweimal pro Woche besucht und mit Übungen versucht gegen Michkas Vergessen anzukämpfen. Und wie Michka kämpft.
Wort für Wort versucht sie Sätze zu formen, die bisweilen unfreiwilligen Witz entfalten.
Michka hat aber auch zunehmende Ängste alles immer mehr im Vergessen zu verlieren.
Nachts hat sie die schlimmsten Alpträume, die sie nicht zur Ruhe kommen und schlafen lassen.
Aber Michka verstummt nicht. Im Gegenteil. Mit ihren letzten klaren Gedanken ist sie bis zuletzt um das Leben anderer bemüht. Auch, wenn ihr das Formulieren immer schwerer fällt.

In dieser Dreiecksgeschichte wird deutlich was Dankbarkeit bedeutet, wie unterschiedlich sie sein kann.
Dankbarkeit kann am Lebensende eine Herzensangelegenheit sein und sie kann auch bestehende Beziehungen festigen und vertiefen.
Das alles wird in einer wunderschönen Sprache erzählt. Mit wundervollen Charakteren.
Es ist ein sehr einfühlsamer Roman über das Alt werden.
Mit der Message das im Grunde genommen für nichts zu spät ist und schon gar nicht die Hoffnung.
Eine Lesehighlight!