Rezension

Einfühlsames Gesellschaftsportrait

Wir holen alles nach - Martina Borger

Wir holen alles nach
von Martina Borger

Bewertet mit 5 Sternen

Im Mittelpunkt  des Roman's "Wir holen alles nach" von Martina Borger, der in München spielt, steht ein kleiner Junge namens Elvis. Seine alleinerziehende Mutter Sina bewältigt seit Jahren den Spagat zwischen Job und Kindererziehung mit großen Anstrengungen. Es fehlt vor allem immer wieder die Zeit und auch die Geduld, sich mit dem sensiblen 8jährigen zu beschäftigen. Sie hat ein dauerhaft schlechtes Gewissen, wenn sie ihren Sohn wieder irgendwo parken muss, weil wieder Überstunden anstehen. Seit kurzem hat sie einen neuen Partner, der ganz anders als ihr Ex auch zuhören kann und sie unterstützt so gut er kann, an den sich Elvis aber noch gewöhnen muss. Außerdem ist er zur Zeit arbeitslos und benötigt seine ganze Energie für die Suche nach einem neuen Job.

In einem 2. Erzählstrang treffen wir auf Ellen, deren Rente als Witwe zum Leben nicht reicht. Ganz pragmatisch hat sie ihre Ausgaben aufs Nötigste zusammengestrichen und sich einen Nebenverdienst als Zeitungsausträgerin gesucht. Außerdem hat sie ihr Händchen für Kinder und als Nachhilfelehrerin entdeckt. So kommt sie mit Sina in Kontakt und soll auch Elvis im Schreiben und Rechnen etwas unterstützen, damit er eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen kann. Ellen und Elvis haben schnell einen Draht zueinander. Ellen entgeht auch nicht, dass der Junge nach einiger Zeit verändert wirkt, als hätte er etwas Schlimmes erlebt.

Die Autorin zeichnet in ihrem Roman ein einfühlsames Gesellschaftsportrait unserer heutigen Zeit. Da werden Altersarmut, Einsamkeit im Alter einerseits und Patchworkfamilien, Scheidungskinder anderseits thematisiert, der Druck beschrieben, der auf den Kindern schon im Grundschulalter lastet, um nur ja aufs Gymnasium zu kommen. Dieser ganze schnelllebige und stressige Alltag und was er mit uns macht, ist  richtig gut und realitätsnah abgebildet.

Es geht aber auch ums Hinschauen, um Vertrauen und um Vorurteile und Vorverurteilungen. Geschickt legt die Autorin falsche Fährten aus, in die man auch als Leser tappt. Das regt wahrlich zum Nachdenken an.

Ich habe den Roman innerhalb kürzester Zeit förmlich verschlungen. Der gefühlvolle Schreibstil und die tollen Charaktere haben mich begeistert und ich konnte das Buch kaum zur Seite legen. Ich kann es nur wärmstens weiterempfehlen. Der Roman war ein absolutes Highlight für mich.