Rezension

eingehend und komplex

Milchmann - Anna Burns

Milchmann
von Anna Burns

Bewertet mit 4 Sternen

Anna Burns hat eine Geschichte mit eigentümlichem Sog geschaffen, in der die Gewaltbereitschaft und Wut in der irischen Gesellschaft eine Rolle spielen. Dabei schildert sie das Irland der damaligen Zeit als eine permanent alarmbereite Gesellschaft. Sie befasst sich mit der richtigen Religion, die Grenzen zwischen den Generationen, die Unmännlichkeit von einigen Figuren, oder wie Frauentreffen von abtreibenden, homosexuellen Aufrührerinnen geleitet werden. Die Ich-Erzählerin spürt den Heiratsdruck seitens ihrer Mutter, da sie mit 20 Jahren bald zu alt ist, es gibt eine klare Grenze zwischen den Geschlechtern, und dabei spielt der bedrohliche Milchmann eine Rolle. Er wirkt in der Politik mit. Die Stadt lebt unter einer Ausgangssperre, sie werden von Büschen oder anderen Verstecken fotografiert, beschattet und es wird getratscht. Es gibt die Staatsverweigerer und die Staatsbefürworter. Klingen Jungennamen zu sehr nach den Namen auf der „anderen Seite der Hauptstraße“, werden sie verboten. Es gilt für die Ich-Erzählerin, das vorherrschende Naturell und die Denkweise dieser Umgebung zu überwinden.

Anna Burns probiert neue Formen im Erzählen aus, wie das Wegfallen von Namen. Stattdessen benutzt sie den Namen der Rolle der Figuren, wie Schwager Drei oder Vielleicht-Freund oder Echter Milchmann. Es wird nie erwähnt, wo und wann genau die Handlung geschieht. Ebenso wenig werden die historischen Ereignisse in Irland besprochen oder erklärt.

Die Geschehnisse passieren gleichzeitig mit dem Stärkeren emotionalen Schwinden der Ich-Erzählerin (Mittelschwester). Anfangs ist sie draußen am Joggen, und geht in die Stadt zum Französischunterricht. Dort lernt sie auch die Symbolik des Sonnenuntergangs kennen. Mit der größeren Bedrängnis des Milchmanns, wendet sie sich jedoch ab. Auch wenn sie versucht, die Wahrheit und ihre Unschuld als wahr zu beanspruchen, wird ihr nicht geglaubt und sie wird weiterhin verleumdet. Sie wird verschlossener, joggt nicht mehr, und wird paranoid.

Anna Burns beendet ihre Geschichte in einem gelungenen Bogen. Sie hat diese Zeit wieder bildlich gemacht, neu erschaffen.  Es ist ein beklemmendes und intensives Geschehen, ein Sog, der einen mit sich reißt.