Rezension

Einsamkeit und Abenteuer

Der kleine Freund - Donna Tartt

Der kleine Freund
von Donna Tartt

Bewertet mit 4 Sternen

Mit „Der kleine Freund“ habe ich endlich alle drei Romane von Donna Tarrt gelesen. Und auch hier hat mich ihre Sprache wieder unheimlich begeistert und von der ersten Seite an gefangen genommen. Ich war gleich drin in der Geschichte, in der wir mit der Familie Cleve den unterschiedlichsten Frauencharakteren begegnen. Wir haben natürlich unsere Hauptcharakterin, die kleine Harriet. Ein freches kluges Mädchen, etwas wild und geradeheraus, das alle Freiheiten zu haben scheint, die sich ein Kind nur wünschen kann. Ganz anders ihre ältere Schwester Allison, die viel schläft, träge ist aber liebenswert und hilfsbereit. Aufgezogen werden sie zu großen Teilen von ihrer Großmutter Edie. Eine strenge Dame, die oft hart wirkt auch wenn sie es eigentlich nett meint. Die Mutter der beiden Mädchen ist nach dem Tod ihres Sohnes Robin eigentlich zu nichts mehr zu gebrauchen. Sediert von Beruhigungsmitteln schläft sie meist und kümmert sich wenig um ihre Töchter. Der Vater lebt aus offiziell beruflichen Gründen in einer anderen Stadt und über diesem Umstand scheinen alle Cleve-Frauen – zu denen noch Edies drei Schwestern gehören - mehr als glücklich zu sein.

Tarrts Talent Charaktere zu entwerfen, die unheimlich echt wirken und mich noch lange begleiten hat sich auch in diesem Roman wieder gezeigt. Allein wie man nach und nach merkt, dass Harreits Leben doch nicht so behaglich, frei und unbeschwert ist, wie man auf den ersten Blick meint war großartig. Ich hatte großes Mitleid mit dem Mädchen, dass nach Liebe und Anerkennung sucht aber oft nur weitergereicht wird.

Auch die Mischung aus Roman und Krimi, die man in allen von Tarrts Romanen in irgendeiner Form findet ist hier wieder gegeben. Die Familie Ratliff, die in Drogenhandel und allerlei andere kriminelle Machenschaften verstrickt ist, sorgt für den düsteren Part in dieser Geschichte. Allerdings wäre ich hier auch durchaus mit weniger Krimielementen ausgekommen! Die Kapitel über die Ratliffs, ihre Drogengeschäft und den seltsamen Missonstrieb eines der Familienmitglieder haben sich des öfteren gezogen. Mir hätte es vollkommen gereicht über Harriet und ihre Familie zu lesen, deren Dynamik so einnehmend beschrieben war, das mir das an Spannung vollkommen genügt hätte.

Und für alle, die sich einen Krimi erhoffen: Das ist es definitiv nicht! Es gibt keine klassische Auflösung. Tatsächlich war ich vom abrupten Ende selbst sehr überrascht. Der Leser ist also dazu angehalten selbst zu grübeln. Wem so etwas schlaflose Nächste bereitet, der sollte vielleicht lieber zu einem anderen Buch greifen. Ich fand es einerseits gut, dass Tartt mich nochmal zum reflektieren und nachdenken gebracht hat, andererseits hing ich doch mehr in der Luft als mir lieb war.

Ich habe „Der kleine Freund“ sehr gerne gelesen. Allein wie Tarrt bestimmte Plätze, die Natur und ihre Stimmung beschreibt fasziniert mich. An Harriet und ihre Großtanten denke ich immer noch gerne zurück. Und auch wenn es Längen gab, hat mich die Mischung aus Familienbanden, dem Glanz vergangener Zeiten, rätselhaftem Tod, leisem Humor, Kindheitsgefühlen, Einsamkeit, Trauer und Abenteuer insgesamt in ihrem Bann gezogen.