Rezension

Eintauchen ins Berlin der 1920er Jahre

Die Frauen vom Savignyplatz - Joan Weng

Die Frauen vom Savignyplatz
von Joan Weng

Bewertet mit 4 Sternen

Im Berlin des Jahres 1916 soll die siebzehnjährige Vicky, deren Eltern eine Metzgerei gehört, mit dem Herrn Tucherben Ebert verheiratet werden. An dem deutlich älteren Mann, mit den sie kaum je ein Wort gewechselt hat, reizt sie nichts. Dem tristen Alltag entfliehen kann sie am Besten durch Liebesromane, die sie gern auch an die Kundinnen der Metzgerei weiterempfiehlt. Als eines Tages Willi in den Laden kommt, der vier Jahre älter ist als sie, eigentlich Chemiestudent und in der Stadt, um etwas für seinen Hauptmann zu erledigen, ist es um sie geschehen. Als er schon zurück an der Front ist, merkt Vicky, dass sie schwanger ist. Neun Jahre später steht sie vor den Scherben ihres Lebens: Ihr Mann will sie und die vier Kinder verlassen. Wie soll sie allein zurecht kommen? Sein Vorschlag, eine Buchhandlung zu eröffnen, klingt für sie irrwitzig - oder könnte es wirklich funktionieren?

Die Buchbeschreibung verspricht einen Roman über eine Frau, die mit ihrer Freundin eine Buchhandlung nur für Frauen eröffnet. Ich freute mich sehr auf diese Geschichte im Berlin der 20er Jahre. Nach wenigen Seiten wird jedoch klar, dass Vickys Weg bis zur Eröffnung des Ladens länger ist, als die Beschreibung den Eindruck erweckt. Der Roman beginnt im Jahr 1916, wo ihre Hochzeit mit den deutlich älteren Herrn Ebert bevorsteht, einem Freund der Familie, den sie kaum kennt. Als sie sich Hals über Kopf in den Soldaten Willi verliebt und von ihm schwanger wird, muss sie eine wegweisende Entscheidung treffen.

Nach 40 Seiten macht die Geschichte einen Zeitsprung ins Jahr 1925. In diesem und im Folgejahr spielt der Rest der Geschichte. Inzwischen hat Vicky vier Kinder und ihr Mann eröffnet ihr, dass er sie für eine andere verlassen will. Vicky nimmt das zuerst nicht ernst, denn er ist ihr schon seit Jahren untreu und ist doch immer wieder zu ihr zurückgekommen. Doch jetzt hat er seine alte Flamme geschwängert und will mit ihr zusammenleben. Gut konnte ich mich in Vicky hineinversetzen und ihre Verzweiflung nachvollziehen sowie ihre Unsicherheit, was sie sich selbst nun zutrauen kann.

Zwei Personen spielen in Vickys Leben eine wichtige Rolle. Das ist zum einen ihr Bruder Bambi, der psychisch versehrt aus dem Krieg zurückgekommen ist. Nachdem er jahrelang gedanklich ganz abwesend war ist er inzwischen wieder klarer, weigert sich aber, Fleisch zu essen, was von seiner Umwelt mit Argwohn betrachtet wird. Doch mit seiner sanften und hilfsbereiten Art ist er eine wichtige Stütze für Vicky. Zum anderen ist da Lisbeth, Vickys beste Freundin, die ihr immer mit Rat und Tat zur Seite steht und sie motiviert, nicht aufzugeben.

Das Thema, als Frau in den 20er Jahren eine andere Rolle als die der Mutter und Hausfrau einzunehmen, steht im Zentrum der Geschichte. Die Autorin nutzt das Setting, um weitere Aspekte einzubringen: Vicky lehnt sich gegen ihre Eltern auf, von denen sie finanziell abhängig ist und die Resonanz der Gesellschaft auf ihre Idee, in einem Laden am Savignyplatz Liebesromane zu verkaufen, fällt höchst unterschiedlich aus. Sollten Frauen sich wirklich mit dieser „Dienstmädchenlektüre“ die Zeit vertreiben dürfen? Hier trifft Emanzipation auf konservative Einstellungen. Auch der erstarkende Nationalsozialismus spielt eine Rolle. Ich fand es interessant, in die Zeit einzutauchen und Vicky zu begleiten, die alles andere als perfekt ist, sondern Ecken und Kanten hat. Gestört hat mich jedoch das Hin und Her in Vickys Beziehung, das sich durch das gesamte Buch zieht. Sie und ihr Mann sprechen sich lange nicht richtig aus und die Entscheidung, wie es nun weitergehen soll, ändert sich mehrfach.

In „Die Frauen vom Savignyplatz“ wird Vicky von ihrem Mann verlassen und steht mit ihren vier Kindern allein da. Ihre Eltern, auf deren Unterstützung sie angewiesen ist, wollen, dass sie möglichst schnell einen neuen Mann und Freund der Familie heiratet. Doch sie will lieber auf eigenen Beinen stehen – zu jener Zeit eine große Herausforderung für eine vierfache Mutter. Der Autorin gelingt es, die Zeit lebendig werden zu lassen und hat mich Vicky eine authentische Protagonistin geschaffen. Nur das andauernde Hin und Her in Sachen Liebe dauerte mir zu lang. Eine schöne Story für alle weiblichen Leserinnen, die Lust auf einen historischen Roman haben, der in Berlin spielt!