Rezension

Einzigartig und tief bewegend

Betty Boob - Vero Cazot

Betty Boob
von Vero Cazot

Bewertet mit 5 Sternen

Sicherlich kennen wir alle die Cartoonfigur Betty Boobs, eine Figur, auf die Cazot und Rocheleau mit ihrem Comic "Betty Boobs" ganz deutlich anspielen. Denn auch die Protagonistin Elisabeth, die später den Künstlernamen Betty Boob annimmt, präsentiert sich im Verlauf der Handlung als aufreizende Burlesque-Tänzerin, doch anders als die Kultfigur Betty Boobs sind Elisabeths Markenzeichen nicht zwei pralle Brüste. Denn Betty ist an Brustkrebs erkrankt und in einer OP wurde ihr die linke Brust entfernt - etwas, das Elisabeth hart trifft und das sie sogar ihre Beziehung und ihren Job kostet.

Die Autoren nähern sich einem sensiblen Thema auf sensationelle Weise, denn auch wenn der Anfang der Geschichte natürlich bedrückend und tragisch wirkt, strotzt der Comic nur so vor Energie, Lebensfreude und Aufbruchsstimmung. Zunächst aber halten Cazot und Rocheleau der Gesellschaft auf schmerzhafte Weise den Spiegel vor, denn sie stellen überspitzt dar, wie Elisabeths Leben sich mit ihrer Brustkrebsdiagnose von heute auf morgen vollkommen ändert. Nicht nur dass Betty mit der Krankheit, den damit verbundenen Schmerzen und der OP, in der ihr die linke Brust entfernt wird, zurechtkommen muss - auch ihr Freund, der sie nach der Operation nicht einmal mehr ansehen kann, trennt sich von ihr. Zu allem Unglück entspricht Elisabeth mit ihrer einen Brust auch nicht mehr dem klassischen Schönheitsideal - wird gemieden, zurückgewiesen und am Ende sogar gefeuert.

Was Cazot und Rocheleau in "Betty Boob" auf überspitzte Art und Weise darstellen, entspricht der Realität. Elisabeth fühlt sich ganz offensichtlich nicht mehr als ganze Frau, weil die Gesellschaft sie nicht mehr als solche sieht. Anfangs versucht sie, ihre fehlenden Haare und ihre Narbe an der Stelle, an der sich zuvor ihre linke Brust befand, zu verstecken, doch das will nicht so richtig funktionieren. Und von da an entwickelt sich die Geschichte in eine vollkommen unerwartete Richtung, schlägt über Abzweigungen und Kurven einen Weg ein, der absolut besonders ist, der berührt und Mut macht und der einen am Ende einfach mit einem Gefühl vollkommener Zufriedenheit zurücklässt. Und das obwohl das Thema so sensibel, so dramatisch und immer noch ein bisschen tabuisiert ist.

Das Geheimnis des Comics ist sein unkonventioneller, sein erfrischend offener und moderner Stil. Nicht nur sind Rocheleaus Zeichnungen voller Energie, voll atemberaubender Bilder und Metaphern - Cazots Geschichte kommt außerdem bis auf wenige Ausnahmen komplett ohne Text aus. Ich war sehr gespannt, was dieses Konzept aus der Geschichte machen würde und ich muss sagen: Es ist absolut aufgegangen. An keiner Stelle habe ich Sprechblasen oder eine Erzählerstimme vermisst, Rocheleaus Zeichnungen tragen die Handlung auf sensationelle Weise, sie sind dermaßen ausdrucksstark und erzählen so viel, dass sie auf eine Art zur Geltung kommen, wie ich es aus keinem anderen Comic kenne. Zudem finde ich es großartig, dass sie so explizit sind - sie sparen nichts aus, sind an vielen Stellen sicher ziemlich provokant (schließlich sieht man viel nackte Haut) und genau das macht sie so echt und außergewöhnlich. Diese Geschichte hat es in sich, aber trotz (oder vielleicht gerade wegen) der schweren Thematik weiß sie mitzureißen, zu verzaubern und komplett zu vereinnahmen. 

Mein Fazit
Ich habe selten einen Comic gelesen, der so leise und gleichzeitig so laut, so bunt und extravagant ist. Rocheleau und Cazot erzählen eine Geschichte, die bedeutungsschwer und wichtig ist, die einem mit ihren vielen Besonderheiten und den außergewöhnlichen, lebensfrohen Zeichnungen aber auf jeden Fall mehr als nur ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Ich bin absolut hingerissen von dieser Geschichte und von der Art und Weise, wie die Autoren uns ein Thema ins Bewusstsein rufen, das wir alle viel zu gerne von uns schieben.