Rezension

Emanzipation im Biedermeier

Die Teehändlerin -

Die Teehändlerin
von Susanne Popp

Bewertet mit 5 Sternen

Friederike Ronnefeldt ist die Ehefrau des Frankfurter Kaufmannes Tobias Ronnefeldt, der mit Tee und anderen Importgütern aus Ost- und Westasien handelt. Entsprechend der Zeit des Biedermeiers bestehen ihre Pflichten in der Führung des Haushaltes und der Erziehung der (vier) Kinder; darüberhinaus pflegt sie gesellschaftliche Beziehungen und musiziert. Als ihr Mann Tobias seinen lange gehegten Traum verwirklicht und zu einer Reise in die Heimat des Tees nach China aufbricht und es Anlass zum Misstrauen gegenüber dem neuen Geschäftsführers gibt, erlernt Friederike die Grundlagen des Kaufmännischen und übernimmt immer mehr das Geschäft, was den Argwohn ihrer Mitmenschen weckt. Und auch ihre Schwester Käthe sowie die heimliche Geliebte ihres Schwagers finden sich in der Zeit außergewöhnlichen und schwierigen Situationen wider ....

Als passionierte Teetrinkerin und Kennerin der renommierten Firma Ronnefeldt, die nun bald ihr 200. Jubiläum feiert, war ich außerordentlich gespannt auf den neuen Roman der Geschichtsdidaktikerin Susanne Popp - und ich wurde absolut nicht enttäuscht!

Susanne Popp hat genau recherchiert und erzählt in ihrem Roman von einer starken Frau, die sich zur Zeit des Biedermeiers von einer klassischen Hausfrau zu einer außergewöhnlichen und "ihren Mann stehenden" Geschäftsfrau entwickelt und verbindet dabei wahre Geschichte mit fiktiven Elementen zu einem wunderschön erzählten Roman, der mit viel Zeitgeschichte aufwartet. Denn wenn auch die frühen Jahre des Handelshauses im Vordergrund stehen, so geht es vielmehr um starke Frauenleben, um frühe Emanzipation, um die freie Stadt Frankfurt und das Leben im 19. Jahrhundert. Ein Personenregister am Anfang des Buches, in dem historische Personen von fiktiven Figuren unterschieden werden und ein Nachwort, das wahre Geschichte von fiktiven Elementen abgrenzt, runden das Ganze ab und machen den Roman umso interessanter.

Durch den herrlichen Schreibstil der Autorin konnte ich tief in die Geschichte abtauchen und fühlte mich zuhause in Zeit und Ort. Der Roman lebt von den vielen Informationen, die anschaulich und unaufgeregt den Leser*Innen näher gebracht werden und ich habe die nicht unbedingt große Spannung zu keiner Zeit vermisst.

Die Figuren sind zumeist mehrdimensional angelegt und entwickeln sich im Laufe der Geschichte weiter. Herausragend ist dabei die Titelheldin Friederike, die aufgrund der äußeren Umstände ihre angestammte Rolle als Ehefrau, Mutter und Hausfrau verlassen muss und sich zu einer toughen Geschäftsfrau entwickelt, was nicht gerade auf Sympathien in ihrem weiteren Umfeld trifft; war Emanzipation der Frauen im Biedermeier keinesfalls tolerabel oder gar üblich. Ihr Mann Tobias war in seinen Einschätzungen ein Produkt seiner Erziehung, wenngleich ich ihn dennoch als liebevollen Familienvater zu schätzen wusste. Und auch weitere Frauen (wie Clotilde Koch oder die Buchdruckerin Amalie Stein) in Friederikes direktem Umfeld waren durchaus unangepasst und fortschrifttlich. Lediglich der Bösewicht Julius sorgte für menschliche Dramen neben den zeitgeschichtlichen.

Ein zweiter Erzählstrang, der von Tobias' jahrelanger Reise nach China berichtete, den Gefahren, Erlebnissen in der Fremde und Vorschriften rund um den Teehandel, war ebenfalls höchst interessant und aufschlussreich; diese Reise hätte durchaus ein eigenes Buch verdient, hätte aber mit größerer Ausführlichkeit den Rahmen dieses Buches gesprengt

Quasi nebenbei habe ich erfahren von der Seckenberggesellschaft für Naturforschung und ihrem heute noch bestehenden Naturmuseum, von Shungas (Bildern jeder Art, die in expliziter Weise sexuelle Handlungen darstellen) und Antisemitismus im 19. Jahrhundert.

Und immer wieder kam "Bohea" ins Spiel, der frühere englische Handelsname der exquisiten Tees aus dem nördlichen China, von dem ich gerne ein Tässchen genieße.

Für mich ein höchst gelungener Auftakt einer großen Saga, der Lust auf die weiteren Bände macht!