Rezension

Emotional, berührend, echt

Vous n'aurez pas ma haine - Antoine Leiris

Vous n'aurez pas ma haine
von Antoine Leiris

Inhalt

Am 13. November 2015 verliert Antoine Leiris seine Frau und die Mutter seines einjährigen Sohnes bei dem Anschlag auf den Pariser Konzertsaal Bataclan. Wenige Tage später veröffentlicht er einen Facebook-Post mit dem Titel „Vous n’aurez pas ma haine“ („Meinen Hass bekommt ihr nicht“), der tausendfach geteilt wurde, auch von internationalen Medien. Bald darauf beginnt er zu schreiben. Ohne besonderes Ziel schreibt er seine Erlebnisse und Gedanken in den Tagen nach dem Anschlag nieder, die er im März 2016 in einem Büchlein, benannt nach seinem berühmt gewordenen „Brief“ auf Facebook, veröffentlicht.

Meinung

Die furchtbaren Terroranschläge, die Ende 2015 Paris erschütterten, dürften wohl weltweit kaum einem Menschen entgangen sein, der zu diesem Zeitpunkt Zugang zu Medien hatte. Der Schock und die Angst waren groß, nicht nur in Frankreich, und Solidaritätsbekundungen wie „Pray for Paris“ oder die Illumnination von Bauwerken in den Farben der französischen Nationalflagge wurden auf der ganzen Welt gezeigt.

Inmitten der Trauer, der Angst und des geschürten Hasses stach Antoine Leiris‘ berührender offener Brief an die Mörder seiner Frau heraus, denn er stellt schon im Titel klar: Er will diese Menschen nicht hassen. In seinem Text geht es darum, dass er sich nicht von Hass blenden und auf Hass mit Hass antworten will, auch für seinen Sohn, der nicht in einem solchen Umfeld aufwachsen soll. Eine, wie ich finde, starke und wunderschöne Botschaft.

Doch sein Buch, das den gleichen Titel trägt wie besagter Brief, ist, obwohl er diesen enthält, mehr als das. Er ist in erster Linie der schonungslose, emotionale aber auch poetische Bericht der ersten Tage nach dem Anschlag, der Leiris‘ Frau Hélène das Leben kostete.
Der Autor beschreibt seine Emotionen, als er von dem Anschlag erfährt und ihm zum ersten Mal der Gedanke kommt, Hélène könnte unter den Opfern sein. Er beschreibt den Weg zur schrecklichen Erkenntnis, das lähmende Gefühl, dass das Leben ohne seine Frau keinen Sinn mehr hat, aber auch den Alltag mit seinem kleinen Sohn, der weitergehen muss, trotz des Schmerzes.

Zum Teil wirkt das Buch wie eine Art Tagebuch, da jeder Eintrag mit dem Datum des Tages und einer Uhrzeit beginnt und Leiris zum Teil so einfache Dinge wie das Abendessen oder das Nägelschneiden beschreibt. Zum Teil ist es aber auch eine Art Gedankenfluss, eine reine Auflistung von Gedankenfetzen, die ihm kommen. Ein anderes Mal schweift er ab in philosophische Überlegungen oder Erinnerungen an die Vergangenheit. Dabei wechselt der Stil oftmals von konkret zu abstrakt und geradezu poetisch.
Leiris legt sich nicht auf einen bestimmten Stil fest, doch bei einem Buch wie diesem ist das auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass das kurze Büchlein authentisch und echt rüberkommt, einen die Gefühle des Autors spüren lässt, und das tut es definitiv, gerade weil man richtig spürt, dass er große Teile davon einfsch spontan runtergeschrieben hat, wie ihm die Dinge gerade in den Sinn kamen.

Das Buch ist aufgrund des dramatischen Themas natürlich sehr emotional, traurig und berührend und ich war sehr beeindruckt davon, wie ehrlich der Autor seine Schwäche und Verzweiflung zugibt; gesteht, dass sein nicht einmal zweijähriger Sohn ihm teilweise stärker vorkommt als er sich selbst.
Überhaupt sind die Momente zwischen Leiris und seinem Sohn unglaublich berührend. Er beschreibt, wie er versucht, für Melvil so viel Normalität wie möglich zu schaffen, während er eigentlich manchmal einfach aufgeben und sich dem Schmerz hingeben will. Wie dieser kleine Mensch einem so großen Menschen so viel Kraft und Liebe geben kann, war wirklich berührend zu lesen. Und bei dem Brief, den Leiris im Namen seines Sohnes an Hélène geschrieben hat, kamen mir entgültig die Tränen.
Obwohl Hélène das gesamte Buch nur in den Erzählungen ihres Mannes vorkommt, wirkt sie durch die liebevollen Worte und intimen Erinnerungen, mit denen er sie beschreibt, stets absolut lebendig, was es auch für die Leser*innen umso schmerzhafter macht, dass sie so früh gestorben ist und ihre Familie unvollständig hinterlassen hat.

Fazit

Ein Buch wie dieses zu bewerten ist im Grunde unmöglich, denn es basiert nicht nur auf den wahren Erlebnissen des Autors, sondern steckt auch voller roher, authentischer Emotionen, die einen beim Lesen mitnehmen. Wer einen Einblick in den unglaublichen Schmerz eines Witwers, aber auch die Kraft, die die Liebe zu einem Kind einem geben kann, bekommen will, dem sei diese Lektüre ans Herz gelegt.