Rezension

Emotionale Achterbahn zwischen Leben und Tod, Freude und Trauer

Wohin das Licht entflieht -

Wohin das Licht entflieht
von Sara Barnard

Bewertet mit 5 Sternen

Erster Eindruck:

Wohin das Licht entflieht hat mich hauptsächlich deshalb angesprochen, weil ich bereits ein anderes Buch der Autorin (Die beste Zeit ist am Ende der Welt) gelesen und absolut geliebt habe. Außerdem hatte ich das große Glück die Autorin auch einmal persönlich auf der Frankfurter Buchmesse kennenlernen zu dürfen und war daher zurecht positiv voreingenommen vom neusten Werk der Autorin. Ich kannte den Klappentext und dachte, ich wüsste was mich erwarten würde: Ein Buch über Trauer, Tod und Verlust – aber ich lag so dermaßen daneben …

Schreibstil/Layout:

Der Schreibstil der Autorin ist in diesem Werk noch einmal deutlich emotionaler als in „Die beste Zeit ist am Ende der Welt“. Die Wahl der Worte ist in all ihren Varianten immer extrem – sie sind schärfer als jedes Messer, kälter als der Novemberwind, härter als Beton und verletzlicher als ein süßer Hundewelpe. Damit schafft die Autorin etwas, das eigentlich unmöglich ist: Sie verleiht Trauer ein Gesicht. Völlig ahnungslos hab ich diese Geschichte gelesen und bereits die erste Seite hat mich so eiskalt erwischt, dass ich tief nach Luft geschnappt habe. Die Art, wie auch die Worte auf dieser Seite gelayoutet ist- wie das Wort „Scherben“ in Scherben zerbricht und wie sich diese absolute Liebe zum Details durch die über 400 Seiten zieht wie ein roter Faden ist beeindruckend – und dermaßen lesenswert!

Inhalt/Figuren:

In der Geschichte begleiten wir Emmy deren große Schwester Beth aka Lizzy ein gefeierter Popstar einer sehr berühmten Girlgroup in England ist. Ich hatte beim Lesen irgendwie immer ein Bild der Spice Girls im Kopf (keine Ahnung wieso). Emmy vergöttert ihre große Schwester (tun kleine Schwestern das nicht immer?) und als Beth Selbstmord begehrt zerbricht Emmy wie eine Vase und zerfällt in winzig kleine Teile. Diese winzig kleinen Teile, die sie versucht wieder aufzuheben, Stück für Stück zurück ins Leben zu kehren dürfen wir in dieser Geschichte betrachten. Es ist schonungslos ehrlich, oftmals kaum zu ertragen, dabei aber auch irgendwie heilsam, denn Trauer kennt keinen Plan, kein Schemata. Trauer ist chaotisch und wild, für jeden anders und Emmys Trauer „lesen“ zu dürfen fühlt sich intim und irgendwie vertraut an. Die vielen verschiedenen Facetten von Emmy, ihrer Schwester Beth und dem Popsternchen Lizzy, ihren beiden Eltern, der Pressewelt und zuletzt von ihren Freundinnen und den Bandkolleginnen von Lizzy bilden eine rundum lesenswerte und tief berührende Geschichte über den Verlust eines geliebten Menschen. Jede dieser Figuren war derart authentisch, dass man oftmals vergisst, dass diese Geschichte nur Fiktion ist. Denn der Hergang von Lizzys Ableben wird mit realistischen Zeitungsartikeln, Tweets und Chats im Buch dargestellt, die der Geschichte eine gewisse Realität verleihen. Es geht dabei aber nicht nur um den Tod, sondern vorallem um das (Über-)Leben, darum wie sehr man sich oft selbst belügt, die Augen vor der Wahrheit verschließt und zuletzt irgendwie einfach nur weiteratmet, bis der Schmerz nachlässt und zu einem Teil von einem selbst wird. Dieser Prozess wird von der Autorin in eine wunderbare, gefühlvolle, aber auch schmerzliche Geschichte gewoben, bei der man unter Umständen, das ein oder andere Taschentuch bereit halten sollte.

Fazit:

Für mich war diese Geschichte eine der Emotionalsten die ich bisher gelesen habe. Die Thematik, aber vorallem die Umsetzung, die Tiefe des Schmerzes, die die Autorin darstellt, machen „Wohin das Licht entflieht“ zu einem ganz und gar außergewöhnlichen Buch, dass man noch lange in einem selbst nachhallt, weil die Botschaft (auch wenn sie durchaus sehr versteckt im Buch ist) dieser Geschichte lautet: Der Tod kann grausam sein, das Leben aber genauso – dennoch gehört das eine zum anderen dazu und ist untrennbar miteinander verbunden. Empfehlen würde ich diese Lektüre daher nur denjenigen, die mit dieser doch sehr traurigen Thematik umgehen können und keine suizidalen Gedanken besitzen. Im Buch selbst befinden sich jedoch auch jede Menge Anlaufstellen und Telefonnummern für Anlaufstellen, die sich mit Trauerbewältigung und Suizidgefährund beschäftigen. Da das Buch aber auch eine Triggerwarnung besitzt, seid ihr in jedem  Fall vor der Thematik gewarnt, was in diesem Fall auch absolut angebracht ist.