Rezension

Emotionale, authentische Lektüre, die Freude bereitet ​

I Capture the Castle - Dodie Smith

I Capture the Castle
von Dodie Smith

Bewertet mit 4.5 Sternen

„I Capture the Castle“ wurde mir für Fans von Jane Austen empfohlen und zum Teil kann ich diesem Vergleich zustimmen. Sowohl Jane Austen als auch Dodie Smith (zumindest in diesem Roman) legen vor allem Wert auf die Charakterisierung ihrer Figuren, deren Entwicklung und Beziehungen untereinander, auch, wenn das bedeutet, dass die Handlung dabei eher gemächlich vor sich hinplätschert.
Dadurch, dass das Buch als Cassandras Tagebuch geschrieben ist, enthält es zu großen Teilen Beschreibungen des Familienlebens der Mortmains, auch dann, wenn dort nicht viel Aufregendes passiert. Wie auch bei Jane Austen wird dieses normale Alltagsleben jedoch so feinsinnig, intelligent, authentisch und emotional beschrieben, dass einem die Lektüre nie langweilig wird. Man fiebert mit den Figuren in ihrem einfachen Leben mit und kann sich besonders mit Cassandra gut identifizieren.

Dort hören die Gemeinsamkeiten jedoch auch auf, denn während Jane Austen ihre Geschichten häufig aus einer allwissenden, älteren und teils zynischen Perspektive erzählt, gibt „I Capture the Castle“ recht direkt die Erfahrungen und Gedanken der siebzehnjährigen Cassandra wieder. Dies sorgt für einen leichten, jugendlichen Tonfall in der Erzählung, der mir ausgesprochen gut gefallen hat. Dodie Smith versteht es, sich in die teils tiefsinnigen, teils jedoch auch naiven und träumerischen Gedankengänge eines Teenagers hineinzufühlen und Cassandra auf Anhieb sympathisch zu machen. Dabei enthält der Roman sowohl philosophische und romantische als auch humorvolle Passagen, wenn Cassandra mit wachem Auge sich und ihre Mitmenschen beobachtet.

Die Heldin ist ein durchaus kluges und humorvolles Mädchen, die sich angenehmerweise sogar bewusst gegen Klischees in Literatur wehrt, beispielsweise gegen des Träumen von der guten Heirat, das in Austens Romanen nicht selten ein Thema ist. Sie bezieht sich dabei auch häufig auf andere Bücher und Literatur spielt ebenso wie Musik und Kunst in ihren Gesprächen mit anderen Figuren eine große Rolle.
Gleichzeitig ist Cassandra jedoch auch ein typisches junges Mädchen, das sich nach Geborgenheit und Liebe sehnt, im familiären wie im romantischen Sinne. Trotz ihres meist klaren Verstandes kommt auch sie so manches mal ins Schwärmen, ist blind für ihre Gefühle oder die anderer, lügt zu ihrem Vorteil und verhält sich selbstsüchtig. Es macht sie jedoch auch aus, dass sie ihr Verhalten häufig später reflektiert und im Laufe des Romans, der sich über mehrere Monate und einige turbulente Ereignisse erstreckt, als Person wächst und sich weiterentwickelt. Das macht sie zu einer absolut glaubwürdigen Hauptfigur, die Identifikationspotential bietet und sympathisch ist.

Die anderen Figuren lernt man nur durch die Linse von Cassandras Wahrnehmung kennen, doch auch sie konnten mich zum Teil faszinieren und berühren. Eine große Rolle spielt zum Beispiel Stephen, ein Angestellter der Mortmains, der im Grunde zur Familie zählt und aussichtslos in Cassandra verliebt ist, die damit nicht richtig umzugehen weiß. Obwohl es einer der tragischsten Aspekte des Buches ist, habe ich es als nachvollziehbar empfinden, dass Cassandra hin und her gerissen ist zwischen dem Vorhaben, ihm keine Hoffnungen zu machen, und dem Wunsch, ihn nicht zu verletzen. Stephen lernt man durch seine Handlungen im Roman von den Nebenfiguren mit am besten kennen und durch ihn war ich in die Handlung emotional am meisten involviert.

Eine weite wichtige Rolle spielt Simon, einer der beiden amerikanischen Brüder, die das Schloss erben und fortan viel mit den Mortmains verkehren. Er ist eine interessante Figur voller Überraschungen, die man gemeinsam mit Cassandra besser kennenlernt und die für mich eines der besten Beispiele ist, wie man nicht-stereotype Figuren entwickelt, die man trotzdem sympathisch finden kann.
Auf andere Art sympathisch aber ebenfalls interessant ist Simons Bruder Neil. Am Beispiel der Cotton-Brüder werden auch sehr unterhaltsam sprachliche und kulturelle Unterschiede zwischen Großbritannien und den USA thematisiert, die der neugierigen und offenen Cassandra auffallen - vermutlich der Einfluss von Dodie Smiths Exil in den USA.

Einer der wichtigsten Punkte in „I Capture the Castle“ sind die komplexe Familienbande der Mortmains. Cassandras Vater, dessen einziger Roman sich grandios verkauft hat, der seitdem jedoch seine Tage mit dem Lesen von Detektivromanen verbringt und seine Familie damit der Armut überlässt, ist eine schwierige Person, die man Stück für Stück wie ein Rätsel zu lösen versucht. Er geht einem mit seiner häufig abwesenden Art auf die Nerven, ist jedoch auch eine intellektuelle Herausforderung, wenn man versucht ihn zu verstehen.
Seine zweite Frau Topaz ist nicht weniger exzentrisch, doch man gewinnt sie schnell genauso lieb wie Rose und Cassandra es getan haben. Positiv überrascht hat mich Cassandras kleiner Bruder Thomas, der unerwartet am Ende eine größere Rolle spielt und etwas mehr Tiefe bekommt.

Große Probleme hatte ich leider mit der Figur der Rose, Cassandras älterer Schwester. Obwohl die beiden sich offenbar sehr nahe stehen und Verständnis für die Eigenheiten der jeweils anderen zeigen, habe ich zu Rose nie einen Zugang gefunden. Von Anfang an wirkt sie oberflächlich und ihr einziges Ziel das Buch hindurch ist es, reich zu heiraten - wenn es sein muss auch „den Teufel persönlich“. Sie schiebt zwar gerne als Ausrede vor, dass sie diesen Plan auch hat, damit ihre Familie von ihren Reichtum ebenfalls wird profitieren können, doch sie nimmt dabei meistens wenig Rücksicht auf die Gefühle anderer und verhält sich sehr selbstsüchtig. Wieso so viele Figuren in diesem Roman solchen Gefallen an Rose gefunden haben, hat sich mir nie erschlossen, was schade ist, da es für die Geschichte relativ wichtig gewesen wäre. In meinen Augen hatte Rose als einzige Figur in dem Roman keine wirkliche eigene Persönlichkeit.

Die Beziehung zwischen den Figuren und ihre Entwicklung ist definitiv eine große Qualität des Romans. Zunächst dachte ich, ich wüsste genau, wie sich die Geschichte entwickeln und wie sie ausgehen würde, doch „I Capture the Castle“ belehrte mich eines besseren. Die Handlung folgt nicht den üblichen literarischen Klischees, bricht mit Erwartungen und ist dennoch - oder gerade deshalb - authentisch und nachvollziehbar. Bis zu den letzten Seiten hatte ich keine wirkliche Idee, wie der Roman ausgehen könnte, und schließlich konnten mich das Ende auf viele Arten berühren und war in meinen Augen perfekt und realistisch gewählt.

 

Fazit

„I Capture the Castle“ konnte mich durch die frische und authentische Stimme der Protagonistin begeistern, die sympathisch und dennoch realistisch gestaltet ist. Auch die meisten anderen Figuren und deren Entwicklung und Beziehungen untereinander konnten mich überzeugen und das Buch trotz der eher ruhigen Handlung spannend machen.