Rezension

emotionales Hin und Her vs. fantastische Idee

Verlockt - Jessica Shirvington

Verlockt
von Jessica Shirvington

Zitat:
„Die Geschichte klang so, als könnte sie auch aus den Sagen, die sich um sie rankten, stammen. Allmählich wurde mir immer mehr bewusst, dass nichts so klar war, wie ich es gerne hätte. Wie es aussah, war nichts vollkommen gut oder vollkommen böse. Und wenn es einen Gott gab, dann war ich mir nicht sicher, ob er wirklich besser war als die Schlimmsten von uns.“
(S. 419)

Inhalt:
Violet arbeitet fleißig daran, alle ihre Aufgaben unter einen Hut zu bekommen. Die Schule, das Grigori-Training, die Einsätze und… Linc. Das Verbot einer Liebe zwischen zwei Grigori steht immer noch zwischen ihnen, auch wenn sich ihre Beziehung zueinander ansonsten wieder beruhigt hat. 

Zur Unterstützung beim Training und der Suche nach der Schrift werden Grigori aus New York eingeladen. Alte Grigori, die ausbilden und helfen sollen, junge Grigori, die mit Violet trainieren können. Schnell wird klar, dass die beiden älteren Grigori mehr verbindet, als die reine Grigori-Partnerschaft und es scheint doch ein Licht am Ende des Tunnels zu geben.

Wäre da nicht Phoenix, der immer noch eine Verbindung zu Violet hat, die über alles hinausgeht, was Linc ertragen kann.

Meinung:
Band 1 der „Violet Eden“-Reihe hat mir sehr gut gefallen, insbesondere das letzte Drittel, als es endlich „zur Sache“ ging. Ich hatte mir erhofft, dass Jessica Shirvington dieses Tempo und die Ereignisse beibehalten würde und stürzte mich vergnügt in Band 2.

Leider wurde ich sehr schnell ausgebremst. Der Einstieg fiel mir nicht allzu leicht, ich musste erst Hierarchien, das Who is Who und wer-stammt-von-wem-ab wieder verinnerlichen, ehe ich mich der Geschichte widmen konnte. Aber während der Eingewöhnungsphase hatte ich auch nichts verpasst. Violets Gefühle drehen sich größtenteils um ihren Partner Linc, die verbotene Liebe und ihren Herzschmerz dabei oder um die Szene in der Wüste, in der sie sich selbst getötet hat und unter deren „Folgen“ sie immer noch leidet.

Wie froh war ich dann über das Auftauchen der „Neuen“, der Grigori aus New York, die allesamt mit ihren unterschiedlichsten Wesenszügen die Geschichte in Schwung brachten. Insbesondere Spence mit seiner draufgängerischen Art hat es mir angetan. In ihm hat Violet einen Freund gefunden, der mit seinem Kampfgeist für alles zu haben ist. Dennoch empfand ich weiterhin einige Längen.
Vielleicht habe ich auf IHN gewartet? Phoenix‘ Auftauchen war jedoch auch nicht das Highlight, das ich erwartet hatte. Selbst seine schockierende Demonstration ließ mich kalt.
Erst als die Handlungsstränge sich langsam verknüpften, Indizien und Hinweise sich verdichteten, gewann die Geschichte an Fahrt.

Jessica Shirvington flocht wieder gekonnt biblische Zitate und „Tatsachen“ wie beiläufig in ihre Geschichte ein, was mir erneut sehr viel Freude bereitete. Für mich dominierte in diesem Buch jedoch eindeutig die Nicht-Liebesgeschichte zwischen Linc und Vi, die nicht einmal mehr eine aufregende Dreiecksgeschichte wie in Band 1 war, sondern eher auf Misstrauen und Eifersucht aufbaute. Diese Entwicklung gefiel mir gar nicht und irgendwann konnte ich die Gefühle der Protagonistin Violet nicht mehr nachempfinden. Dieses emotionale Hin und Her, das die Autorin ihren Charakteren zumutet, verfehlte bei mir eindeutig seinen Zweck. Genervt davon, lenkte es mich sehr von der eigentlichen Handlung des Buches ab: den Kampf gegen das Böse, das auf allen Seiten auftaucht, dem Auftrag der Grigori und Violets Verbindung zum Himmel, was ich alles nach wie vor fantastisch strukturiert und tiefgründig finde.

Mein Charakter-Liebling des Buches war eindeutig Steph, Violets menschliche beste Freundin. Mit ihr steht und fällt der Plot, sie ist gleichzeitig für auflockernde Phasen zuständig wie für die Entschlüsselung von Geheimnissen. Wie gut, dass die Autorin auch ihr einen kleinen Lichtblick gegönnt hat.

Richtung Showdown holt Jessica Shirvington wieder alles aus dem Plot heraus, verstrickt gekonnt Handlungsstränge und führt die Grigori weit zurück in der Weltgeschichte, löst anschließend (vorhersehbare) Wendungen aus, ehe alles erneut mit Erkenntnissen endet, die den Leser zum Weiterlesen zwingen.

Urteil:
Für meinen Geschmack lieferte Jessica Shirvington mit „Verlockt“ zu viel emotionales Hin und Her, was die Geschichte um die Grigori und den Kampf gegen das Böse in den Schatten drängt. Die dadurch entstandenen Längen konnten von den neuen Charakteren und den einfach genialen Hintergrundideen der Autorin etwas ausgeglichen werden. Ich bin gespannt, was die Fortsetzung bietet und vergebe sehr gute 3 Bücher für „Violet Eden 2“.

Wer in Band 1 Gefallen an der tragischen Beziehung von Linc und Vi gefunden hat, wird diesen Teil lieben. Wer (wie ich) mehr Wert auf die Handlung legt, sollte seine Erwartungen etwas herunterschrauben.

Die Serie:
1. Erwacht
2. Verlockt
3. Gebannt
4. Entbrannt

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