Rezension

Entdeckung des Jahres 2016

Der letzte beste Ort - Callan Wink

Der letzte beste Ort
von Callan Wink

Bewertet mit 5 Sternen

Der Yellowstone River in den USA durchfließt den Yellowstone Nationalpark, stürzt mehrere Wasserfälle hinunter, durchquert Montana in nordöstlicher Richtung und fließt schließlich in den Missouri. Auf und an diesem Fluss arbeitet Callan Wink; er fährt mit Touristen zum Fischen. Touristen kommen und gehen. Mancher mag davon träumen, sich in Montana eine Ranch zu kaufen und für immer unter dem endlosen Himmel zu bleiben. In dieser Region leben auch die Figuren in Callan Winks Kurzgeschichten. Hier werden Rinder und Paint Horses gezüchtet und mancher hat ein Vermögen in seinen gut gefüllten Waffenschrank investiert. Die Welt scheint geordnet, in der Frauen rauchen und Männer ihren Kaffee schwarz trinken. Wenn der Bach hinter dem Haus plötzlich Hochwasser führt wie bei Jeanette in „Schneeschmelze“, braucht eine Frau einen beherzten Helfer, der sie und ihr Haus gegen Wassermassen, Feuersbrünste oder Banditen beschützen kann.

Montana war und ist Stammesgebiet der Crow-Indianer. James Colson in „Exoten“ arbeitet in einer einklassigen Zwergschule im Crow-Reservat. Aus diffusem Frust heuert James beim Besuch seines Bruders in Texas aushilfsweise als Ranch-Helfer an. Viele US-amerikanische Lehrer müssen sich während der Ferien einen Sommerjob suchen. Die Ranch füttert exotische Tiere aus anderen Kontinenten an, damit sie wohlhabenden Jagd-Touristen direkt vor die Flinte laufen. Abgesehen vom Schock, auf den Waldwegen der Ranch afrikanische Antilopen zu treffen, ist die Arbeit erträglich. Doch der Verwalter Karl stellt klar, James hat einen befristeten Job, er kann nicht auf der Ranch bleiben.

Callan Wink versteht die Weisheit eines ganzen Lebens in einen kurzen Abschnitt zu packen. Das zeigt er u. a. in „Auf der schiefen Bahn“ mit einer innigen Großvater-Enkel-Beziehung und in der Story „Im Nachinein“, die auf knapp 60 Seiten das gesamte Leben einer Frau rekapituliert. Lauren hat trotz ihrer Entscheidung nicht als Krankenschwester arbeiten zu wollen, zuerst ihre Mutter und dann ihren schwierigen schwerkranken Mann gepflegt. Nach dessen Tod rackert sie sich mit der Instandhaltung ihrer Ranch ab, deren Boden zu unfruchtbar ist, um von der Rinderzucht zu leben. Altsein oder Jungsein wären kein Problem, erkennt Lauren, wenn man nur die Zeit dazwischen erkennen und genießen könnte.

Zitate
Wind und Einsamkeit, unendliche Müdigkeit und zerstörte Bäume. Dazu noch Tiere, die gefüttert werden müssen. Die Welt, die einen zermalmen wollte, enthielt auch Ziegen, die vor Hunger meckerten, Eier die verderben würden, wenn man sie nicht einsammelte, und Rinder, die ausbrachen, wenn man sie nicht einzäunte. Lauren goss. Sie fütterte. Sie sammelte. Sie las alle Splitter ihrer Bäume auf …“ (Seite 260)

Küsse haben die Eigenart, dass sie schnell an Gewicht gewinnen. Erst kommt die Schneeflocke, dann der Schneeball und schließlich die Lawine. Aus Abendessen wurden Übernachtungen, und Lauren bekam den Eindruck, ihr wäre über Nacht ein seltsamer neuer Körperteil gewachsen oder sie sei aufgewacht und habe plötzlich ein neues Zimmer in ihrem Haus gefunden. Es war beunruhigend, aber nicht unangenehm. Ganz und gar nicht unangenehm.“ (Seite 249)

Callan Wink war durch eine kleine gedruckte Leseprobe meine Entdeckung des Jahres und ich bin gespannt auf seinen ersten Roman.