Rezension

Enttäuschend

Die Gesichter
von Tom Rachman

Bewertet mit 3 Sternen

Dieser Roman über Kunst, Familie und das Leben eines Künstlersohnes klang genau nach meinem Geschmack. Dazu die vielen positiven Stimmen und das wunderschöne Cover; Rachmans „Gesichter" schien eine sichere Bank zu sein. Doch leider war der Roman nicht das Highlight, das ich mir versprochen hatte.

Schon den Einstieg fand ich schwierig, weil es keinen Charakter gab, dem man gerne gefolgt wäre. Der große Künstler Bear Bavinski ist ein selbstverliebter Egoist ohne Blick für die Sorgen und Nöte anderer. Seine junge Frau Natalie trieb mich mit ihrer Fügsamkeit und Abhängigkeit in den Wahnsinn und Hauptfigur Pinch ist ein einsamer, schüchterner, zutiefst unsicherer Junge, der seinen Vater viel zu sehr vergöttert. Immerhin ist er zu Beginn des Romans noch ein Kind, da mag man das verzeihen. Aber auch später wird das nicht unbedingt besser. Statt sich von seinen Eltern zu emanzipieren hat er nur Angst davor, die Gunst seines großartigen Vaters zu verlieren. Vor dessen Fehltritten – zu denen diverse betrogene Ehefrauen, vernachlässigte Kinder, Überheblichkeit und offensichtlicher Egoismus gehören – verschließt er die Augen. Schließlich geschieht das ja alles, um große Kunst zu schaffen.

Ich bin mir im klaren darüber, dass ich Bear nicht mögen soll. Der Charakter ist offensichtlich so angelegt, dass man sich an ihm reibt. Aber Pinchs Abhängigkeit und die Unselbstständigkeit seiner Mutter konnte ich nicht nachvollziehen. Hier hätte ich mir eine sympathische Figur gewünscht. Als Pinch schließlich zum Studium nach Kanada geht, gefiel mir sein Charakter besser. Dort passte mir allerdings die Beschreibung des Studium nicht. Solche Überflieger wie Rachman sie beschreibt gibt es nicht. Man ist doch zum Lernen an der Uni und nicht um seine schon vorhandene Klugheit zu beweisen. Es gibt auch keinen Professor der mit dem Unterrichtsbeginn auf eine aufmüpfige aber (natürlich!) superkluge Studentin warten würde. Zudem scheint man in Rachmans Vorstellung durch ein Kunstgeschichtsstudium zu kommen ohne sich großartig Kunst anschauen zu müssen. In Ausstellungen geht man nur, um über auf die Spitze geriebene moderne Kunst zu lästern. Und auch Pinch verfällt nach einem kurzen Aufschwung wieder in alte Muster.

Spannend wird es erst ab etwa der Hälfte. Hier kommt Schwung in die Geschichte. Pinch beginnt endlich seinen Vater zu hinterfragen und sich auf eigene Talente zu besinnen. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich aber schon diverse Male überlegt, das Buch abzubrechen, weil mich Charaktere, Story und Schreibstil nicht gepackt haben. Sprachlich habe ich mir zum Beispiel weitaus mehr erwartet. Rachmans Schreibstil ist durchschnittlich aber eben nichts besonderes. Die strikt chronologische Erzählweise war wenig abwechslungsreich. Mit ein paar Rückblenden hätte man das Ganze sicher interessanter gestalten können. Aus unerfindlichen Gründen habe ich mit einem Roman a la Franzen gerechnet und davon ist Rachman weit entfernt.

Insgesamt also ein eher enttäuschendes Leseerlebnis mit starrem Personal und einer Story die erst spät Fährt aufnimmt. Für das letzte Drittel gab es den dritten Stern, ansonsten wäre ich bei zweien geblieben. Von mir leider keine Empfehlung.