Rezension

"Erfinden heißt Erinnern"

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war - Joachim Meyerhoff

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
von Joachim Meyerhoff

Bewertet mit 4.5 Sternen

Kindheit und Erwachsenwerden, ein immer wieder aktuelles Thema. Die hier beschriebenen Kindheitserinnerungen beinhalten einerseits übliche, alltägliche Episoden: Die drei Brüder streiten sich und die älteren reizen den jüngsten bis zur Weißglut; um neun Uhr soll der Junge ins Bett, aber da läuft gerade der spannende Spielfilm; der geliebte Hund muss eingeschläfert werden. Aber da gibt es auch ganz andere Szenen: Da der Vater Direktor einer Psychiatrieanstalt ist, wächst der Junge zwischen körperlich, geistig und seelisch Behinderten auf. So ist er daran gewöhnt, nachts die Schreie der Patienten zu hören, er reitet auf den Schultern eines Glocken schwingenden Insassen über das Gelände, und beim Weihnachtsspiel kann es vorkommen, dass Maria eine Zwangsjacke trägt. Was heißt hier schon "normal"? Auch der Erzähler entspricht nicht den üblichen Erwartungen: Er kann nicht stillsitzen, zappelt ständig herum und versagt in der Schule - ein Junge, der in einer anderen Familie als hyperaktiver und aufmerksamkeitsgestörter Problemfall gelten würde.

Die Eltern sehen das gelassen. Besonders der Vater steht im Mittelpunkt der Erinnerungen: Ein Riese, der Autorität ausstrahlt, der pausenlos liest und alles weiß. Das Bild vom allwissenden Vater bröckelt nach und nach: Der Vater ist zwar theoretisch überaus beschlagen, doch bei praktischen Tätigkeiten versagt er auf der ganzen Linie. Und wenn er mitten im Trubel im Sessel sitzt, sich nicht stören lässt und konzentriert liest, so kann man das auch so verstehen, dass auch die Familie für ihn kein lebendiges Gegenüber ist, sondern eine Theorie. Der älter werdende Sohn entdeckt immer mehr Zeichen, dass das Leben des Vaters doch nicht ideal ist; nach seinem Tod erweist sich sogar, dass er parallel ein geheimes Doppelleben geführt hat.

Zum Erwachsenwerden gehört notwendigerweise die Entzauberung der Welt und die Erkenntnis, dass die eigenen Eltern keine Götter sind. Dieser Prozess wird hier in vielen aneinandergereihten Episoden beschrieben. Neben skurrilen Geschichten voller Situationskomik stehen besinnliche Szenen. Zum Schluss wandelt sich der eher lustige bis spöttische Ton in Ernst, wenn von der Krebserkrankung und dem Tod des Vaters berichtet wird. Vater und Sohn kommen sich noch einmal nahe und ein Abschied von Mensch zu Mensch abseits der Rollen wird möglich. Diese Szenen haben mich in diesem Buch am stärksten berührt.

Kommentare

luettawolf kommentierte am 16. August 2023 um 06:37

Die Eltern sehen das gelassen. free games