Rezension

Ergreifend, aufwühlend und erschütternd zugleich.

Opferland
von Bettina Obrecht

Pflichtlektüre für deutsche Schulen! Eine Geschichte über Mobbing, und wie schnell man einen Menschen unbewusst Vorverurteilt Ergreifend, aufwühlend und erschütternd zugleich. Lehrreich für Lehrpersonal und Schüler, die Mobbing anscheinend immer noch lustig finden.

* diese Rezi ist so geschrieben, dass auch in meiner Meinung ein wenig Inhalt vorkommt. Also spoilerhaft, aber meiner Meinung nach verrät sie trotzdem nicht zu viel des wichtigen Geschehens, sondern nur grundlegende Emotionen*

Inhalt:

Cedric wird schon in der Grundschule gemobbt. Warum, das weiß er selbst nicht. Er hat doch nichts getan. Die Eltern sind machtlos, denn die Lehrer suchen die Schuld stets bei Cedric. Erst auf der weiterführenden Schule scheint endlich Schluss mit dem Thema zu sein.
Cedrics neue Schule ist ganz bewusst sehr weit von seinem eigentlichen Zuhause entfernt und so wohnt er heute bei Freunden seiner Eltern. Diese und seine Schwester sieht er fortan nur noch am Wochenende.

Jetzt ist Cedric also 15 und ist in der Filmgruppe seiner Schule als Hauptrolle für das Neue Projekt „Mobbing“ vorgeschlagen. Das gefällt ihm überhaupt nicht. Warum soll gerade ER diese Rolle übernehmen? Er tut doch alles um unsichtbar zu bleiben und unauffällig durch die Schulzeit zu kommen. Sieht man ihm etwa an, dass er ein „Opfer“ ist? Geht es jetzt schon wieder alles von vorne los? Eine als Scherz gedachte Äußerung seines Mitschülers Lars lässt Cedric zum ersten Mal wirklich ausrasten.

Seit dem wenden sich die meisten Mitschüler wieder gegen ihn und machen mit, wenn Lars ihn beschimpft und auf sehr zeitgemäße Art und weise versucht in Cedrics Vergangenheit zu wühlen. Nur Sinja hält noch zu Cedric. Sie wird ihm ein Fels in der Brandung.

Erschwerend in der ganzen Situation kommt hinzu, dass Cedrics Schwester Kayla einen neuen Freund anschleppt. Cedrics enges Verhältnis zu seiner Schwester bekommt erstmals Risse.

Eine schöne Nebenrolle spielt in meinen Augen auch Frau Rieger, die Seniorin mit ihren 2 Kaninchen, die im Haus über Cedric wohnt.

                                                      

Meine Eindrücke:

 

Beim Lesen wird man sofort in die Geschichte hineingezogen. Der Sprachstil ist klar und kommt ohne Schnörkel aus.
Die Autorin arbeitet mit scharf voneinander abgegrenzten Rückblicken in die Grundschulzeit von Cedric dort, wo alles anfing.
Die Sprache in den verschiedenen Zeitebenen ist dem Alter des Jungen angepasst. Das hat mir sehr gut gefallen.

Gerade in den Rückblicken merkt man die Hilflosigkeit Cedrics. Egal was er tut, oder nicht tut, er kommt einfach nicht aus dem Opferstatus heraus. Er ist und bleibt ein leichtes Mobbingopfer. Die Lehrer sehen in ihm einen Störenfried. Immer wird er für die Unruhe in der Klasse verantwortlich gemacht. Denn bevor er kam, war die Klasse ja ganz ruhig. Die eigentlichen Übeltäter bleiben somit unbehelligt.

Über die Jahre haben sich Selbstzweifel und vorgefertigte Meinungen in Cedric manifestiert. Es kommt zur „Self fulfilling prophecy“. Er glaubt, dass ihn seine Mitschüler wieder angehen werden, also tun sie es auch irgendwann. Die emotionale Mauer zum Selbstschutz wird zur Stolperfalle. Seine Heimlichtuerei bezüglich seiner Vergangenheit beschwört die Vergangenheit wieder herauf. Es kommt also wie es kommen muss. Murphys Law eben. Es ist zum Haareraufen.

Meine Gefühle:

Ich leide mit, wenn der Grundschüler Cedric von seinen Mitschülern angegriffen wird. Ich bin wütend, wenn ich sehe wie wenig Feingefühl die Lehrer für die Situation haben. Ich möchte eingreifen und die Lehrer durchschütteln, damit sie endlich wach werden und ihrer Pflicht als Autoritätsperson nachkommen. Ich könnte weinen, wenn Cedric vor lauter Hilflosigkeit einfach nur noch schreien kann. Und ich bewundere die Eltern, die die Situation richtig einschätzen und zu ihrem Sohn  halten; und ich bin beruhigt, weil sie wie ein Löwe (an meiner statt) für Cedric kämpfen. Leider dringen auch sie nicht zu den Lehrern durch und werden immer ratloser. Ich frage mich, was die Lehrer eigentlich in ihrem Studium gelernt haben, dass so ein Verhalten ihrerseits überhaupt möglich ist.

Diese Geschichte ist so dicht mit Gefühlen gespickt, dass man zum Schluss ganz mitgenommen ist.

Mein Fazit:

Die Autorin gibt uns, mit ihrer teils autobiografischen Erfahrung, einen Einblick in das Seelenleben eines Gemobbten. Sie zeigt eindrucksvoll alle Facetten dieses Phänomens auf, das nicht erst seit 2 Generationen existiert, heute aber weitreichendere und menschenunwürdigere Formen angenommen hat.

Diese Geschichte ist aber keinesfalls einseitig. Sie deutet auch an, dass gerade Mobber keine Handhabe bezüglich ihrer eigenen Probleme haben und ihren Frust auf diese Weise kompensieren möchten.

Die Hilflosigkeit des von Mobbing Betroffenen, der Versuch sich unsichtbar zu machen, äußerlich ganz unauffällig zu bleiben, die Ignoranz wichtiger Autoritätspersonen, die Machtsucht der Mobbenden, der Mut einem Opfer beizustehen, der Wille das alles durchzuhalten, die Einsicht, dass es doch noch ein Morgen gibt:

Das alles ist so wunderbar getroffen!

Für wen ist dieses Buch:

Diese rundum stimmige Geschichte sollten alle Menschen lesen, denn eindrucksvoll wird hier dargelegt, dass bestimmte Plattitüden wenig Hilfreich sind. „Wehr dich! Setz dich durch! Ignorier die doch alle! Schlag zurück!“ Das alles ist keine echte Hilfestellung und ist kontraproduktiv.

Dieses Buch gehört in jeden Deutschunterricht!