Rezension

Ergreifend und erschütternd!

Das Maikäfermädchen - Gina Mayer

Das Maikäfermädchen
von Gina Mayer

Bewertet mit 5 Sternen

Ich bin schlichtweg begeistert von diesem Buch und der Art der Autorin zu erzählen!!!
Es geht vornehmlich um zwei Frauen, die kurz nach Ende des 2. Weltkrieges in der total zerbombten Stadt Düsseldorf ihr Überleben sichern müssen - irgendwie. Die Anzahl der Charaktere ist übersichtlich: Da ist einmal Käthe, ungefähr 50 Jahre alt, Hebamme. Ihr Mann Wolf gilt als verschollen, entweder im Krieg gefallen und in irgendeinem Massengrab verscharrt oder in russischer Kriegsgefangenschaft, niemand weiß es. Aber Käthe hofft verzweifelt, dass er noch lebt und zu ihr zurückkehren wird. Sie lebt mittlerweile in einer winzigen Kammer in einem der noch intakten Häuser der Stadt und kommt mehr schlecht als recht mit ihrer Tätigkeit als Hebamme über die Runden. Eines Tages taucht ein Mädchen bei ihr auf und bittet verzweifelt um eine Abtreibung. Käthe ist eigentlich strikt dagegen, werdendes Leben zu töten, außerdem ist solch eine Tat strafbar und führt zu einer Gefängnisstrafe. Doch auch Käthe ist verzweifelt. Ständiger Hunger und nicht zu wissen, was morgen wird, wie sie weiterhin überleben kann, führen schließlich dazu, dass Käthe die Abtreibnung durchführt. Im weiteren Verlauf lernen wir einer weitere Protagonistein kennen, Lilo, eine ehemalige Kollegin von Käthe. Lilo muss sich zurzeit ganz allein um das Überleben ihrer Familie kümmern. Sie hat zwei Kinder, ihr Mann lebt zwar bei ihr, ist aber im Prinzip zu nichts mehr zu gebrauchen. Er ist ein seelischer Krüppel, war in englischer Kriegsgefangenschaft und hadert zudem mit einigen Taten aus seiner Vergangenheit. Die Liebe zu Lilo scheint verloren. Als Lilo erfährt, dass Käthe zwei Abtreibungen durchgeführt hat, reift in ihr der Plan, im Geheimen einer Art Abtreibungsklinik für verzweifelte Frauen zu führen. Denn "Kundschaft" gibt es in diesen gottlosen Tagen genug, und von irgendetwas muss man ja leben ...
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Meinung:
Gina Mayer ist mit dem "Maikäfermädchen" ein hervorragendes Werk gelungen! Ich habe noch nie ein derart bewegendes, dabei aber völlig authentisches und glaubwürdiges Buch über die unmittelbare Nachkriegszeit gelesen. Wenn es Geschichten über die Zeit des 2. Weltkrieges gibt, erzählen sie meistens von den Soldaten, den Schlachten oder der Judenvernichtung. Gina Mayer nimmt sich hier aber eine ganz andere Sicht vor, nämlich die zweier Frauen, zweier Zurückgebliebener, die in dem in Schutt und Asche liegenden Düsseldorf die "Scherben" des Krieges ordnen dürfen. Die Schilderung des Alltags der Überlebenden in all seinem Ausmaß gelingt der Autorin überaus gut! Sofort nach den ersten Seiten des Buches war ich in der Geschichte drin, im verzweifelten, aber auch extrem öden Leben von Käthe und nachher auch Lilo. Was für eine trostlose, harte, ja, fast schon unmenschliche Zeit muss das gewesen sein, kurz nach der großen Niederlage, nach der Zerstörung, den Abermillionen von Toten, der Besatzung durch die Alliierten und der Ungewissheit: Werden die Vermissten nach Hause kommen? Fast alles in der Stadt war zerstört, alles, was man kannte, gab es nicht mehr. Der Ton des Buches ist schon ziemlich depressiv und düster, oft habe ich mich gefragt, wie die Menschen es geschafft haben, weiterzuleben ...
Die Charaktere sind wunderbar gezeichnet, und dazu bedarf es vonseiten der Autorin nicht einnal vieler Worte. Es wird ziemlich schnell klar, wer wie tickt und warum. Dabei werden die Figuren sehr detailliert ausgeleuchtet, es kommen viele innere Monologe vor, die die Zweifel, Ängste und Hoffnungen thematisieren. Das macht die Charaktere sehr glaubwürdig und lebendig, ich konnte wunderbar mit ihnen fühlen. Besonders Käthe hat es mir angetan!
Viele Themen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit werden thematisiert: Hunger, Wohnungsnot, Hass auf die Deutschen, die Judenvernichtung, Einsamkeit, Besatzungsmacht, Schwarzmarkt , die Trümmerfrauen und natürlich das Thema Abtreibung. Hier geht Gina Mayer sehr behutsam vor, weder urteilt sie über die Frauen, die eine Abtreibung wollen, noch diejenigen, die sie durchführen. Dabei gibt es die ein oder andere Szene, die mir echt an die Nieren gegangen ist und wo ich schlucken musste!
Sehr schön finde ich die Einflechtungen über Gott und den Glauben! Käthe z.B. liest immer mal wieder in der Bibel - und hadert sehr mit Gott und der Frage, wie es einen Gott geben kann, der so etwas wie diesen Krieg zulassen konnte. Auch bei anderer Gelegenheit kommen Zweifel an Gottes Existenz oder auch seiner Güte zur Sprache, immer sehr passend, akzentuiert und nie bemüht, sondern authentisch.
Immer wieder werden auch Rückblenden in die Geschichte eingebaut, was den ganzen Plot sehr belebt und den Figuren noch mehr Tiefe verleiht.
Obwohl es vornehmlich um die unmittelbare Nachkriegszeit geht - diese ist sozusagen der eigentliche Protagonist - verfolgt das Buch aber auch eine echte Geschichte um die beiden Frauen, ihre Abtreibungspraxis, ihre alltäglichen Probleme, Beziehungen und Konflikte. Wird Wolf zurückkommen? Finden Lilo und ihr Mann jemals wieder zusammen? Was ist es, woran Lilos Mann so zu kauen hat? Und: Wird die Angelegenheit mit den Abtreibungen irgendwann auffliegen?
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Fazit: Ich kann dieses Buch nur wärmstens empfehlen!! Aber Vorsicht! Es ist keine leichte Kost, sondern es geht um die knallharte Realität im Nachkriegsdeutschland! Die Menschen haben sich nichts geschenkt. Vielleicht ist Gina Mayers Blick auf diese kurze, aber intensive Epoche der jüngeren deutschen Geschichte sogar etwas zu pessimistisch geraten. Wer diesen Roman liest, bekommt einen sehr genauen, gefühlvollen Blick auf die Jahre 1945-1947 in Düsseldorf präsentiert. Zwei Frauen kämpfen ums tägliche (Über-)Leben und errichten eine illegale Abtreibungsklinik. Das Buch löst viele Emotionen aus, man fühlt sich direkt in diese Zeit versetzt - und kann eigentlich nur dankbar sein, in der Gegenwart zu leben.
Volle 5 von 5 Sternen

Kommentare

callunaful kommentierte am 06. November 2013 um 13:14

Mich konnte das Buch auch begeistern. Tolles Buch. Hoffentlich sind die anderen Werke von Gina Mayer auch so klasse.