Rezension

Ergreifendes Buch mit viel Recherche dahinter

Der letzte Papierkranich - Eine Geschichte aus Hiroshima - Kerry Drewery

Der letzte Papierkranich - Eine Geschichte aus Hiroshima
von Kerry Drewery

In “Der letzte Papierkranich” erzählt Kerry Drewery ist eine ergreifende Geschichte über den Atombombenabwurf auf Hiroshima. Die Autorin hat sehr viel recherchiert und das merkt man auch beim Lesen. Besonders toll ist die Tatsache, dass die japanische Illustratorin Natsko Seki ausgewählt wurde, um die Geschichte bildlich zu untermalen.

4,5/5

Das Buch ist in drei Teilen aufgeteilt, wobei der 1. und 3. Teil einen lyrischen Aufbau haben, was sehr interessant ist, weil dadurch andere Betonungen gesetzt werden, als wenn es ein Fließtext wäre. Anfang und Ende der Geschichte spielen in der Gegenwart und werden aus der Sicht der Enkelin Mizuki erzählt. Opa Ichiro spricht mit Mizuki über die selbst aufgebürdete Last eines nicht eingehaltenen Versprechens. Der 2. Teil offenbart den Grund für die Schuldgefühle Ichiros und bringt uns in das Jahr 1945, als die Atombombe Hiroshima traf. Ichiro und sein bester Freund Hiro überleben dieses tragische Ereignis und begeben sich auf die Suche nach Hiros fünfjährigen Schwester Keiko. Sie finden das kleine Mädchen und Ichiro verspricht Hiro, kurz bevor dieser verstarb, dass er auf Keiko aufpassen wird. Doch der Weg zum Krankenhaus ist weit und Ichiro konnte Keiko nicht länger tragen, sodass er gezwungen war sie zurückzulassen, um Hilfe zu holen. Seitdem hat er sie nie wieder gesehen. Während seiner Suche nach ihr hinterlässt er Origami-Papierkraniche mit seiner Adresse – in der Hoffnung, dass Keiko überlebt hat …

Ich muss zugeben, dass ich anfangs Vorbehalte hatte, weil eine weiße Autorin über Hiroshima aus einer japanischen Sicht schreibt. Es ist kein Own Voice Buch, aber Drewery hat das m.M.n. sehr gut gemacht, aber ich bin keine Japanerin und kann dementsprechend nicht beurteilen, wie das auf japanische Leser_innen wirkt.

Im Buch werden "Ensō" (Kreise, die mit einem Pinselschwung gemalt werden) benutzt, um Gedanken zu akzentuieren. Ensō ist insbesondere im Zen-Buddhismus ein bedeutungsvolles Symbol, das für Ästhetik, Erleuchtung, Stärke und Eleganz steht. Genauso kann es aber sowohl für das Universum als auch für die Leere stehen. Das Ensō ist der „Ausdruck des Moments“ und die Zitate darin sind es ebenso.

Es ist ein Buch mit lebendigen Charakteren und ich hatte mehrere Male Tränen in den Augen. So viele Stellen waren einfach herzzerreißend und die Illustrationen sind so ausdrucksstark und verstärken die Wirkung der Geschichte. Ich denke, Drewery hat die Emotionen, die Verzweiflung, die Angst, die Ungewissheit der Überlebenden der Atombombe großartig eingefangen.

 

Dennoch habe ich einige Kritikpunkte, was aber evtl. auch Haarspalterei ist. Hin und wieder werden im Buch japanische Begriffe und Phrasen verwendet, die direkt im Anschluss übersetzt werden. Deshalb frage ich mich, ob es denn überhaupt notwendig war, diese einzustreuen? Bei einigen kann ich es nachvollziehen (wie “ganbare”, weil es nicht *die* eine richtige Übersetzung dafür gibt), aber “tasukete” (“hilfe/hilf mir”)? Und dann wurde “shikata ga nai” (“Kann man nichts machen” / ”Es ist wie es ist”) nicht übersetzt. Es wirkt auf mich fast dekorativ. Es wurde auch der Begriff “pika” benutzt. “Pika” ist eine Abkürzung von “pikadon” (der “helle Blitz” der Atombombe) und wird häufig von Menschen verwendet, die der Bombe am nächsten waren. Beim Lesen war das für mich verwirrend, weil gesagt wurde, dass in dem Moment bzw. kurz nach dem Einschlag der Atombombe jemand mit der “pika” angezündet wurde, und ich habe nicht verstanden, inwiefern man andere mit einem Blitz anzünden sollte? Außerdem meine ich, dass der Begriff “pikadon” zu dem Zeitpunkt noch nicht verwendet und erst im Nachhinein eingeführt wurde.

Ich bin auch über den Satz “Möge Gott mit Ihnen sein” gestolpert, weil ich das mit dem Christentum verbunden habe und der Großteil der Japaner dem Shintoismus oder Buddhismus angehören. Lediglich etwa 1% der Bevölkerung gehört dem Christentum an. Außerdem wird die Reihenfolge der japanischen Namen (zuerst Nachname, dann Vorname) nicht eingehalten, was seltsam war, aber natürlich den Lesefluss nicht gestört hat. Wie gesagt, Kleinigkeiten, deshalb auch der halbe Stern Abzug, wollte das nur anmerken. 

Mein Vorschlag: Glossar mit all den Hiroshima-spezifischen Begriffen bzw. allen japanischen Begriffen und Phrasen hinzufügen.