Rezension

Ergreifendu nd speziell

Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm - Selja Ahava

Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm
von Selja Ahava

Bewertet mit 4.5 Sternen

In "Der Tag an dem ein Wal durch London schwamm" erzählt die finnische Autorin Selja Ahava aus dem Leben von Anna. Das fängt etwas verwirrend an, denn Anna lebt offenbar in einem Pflegeheim und scheint dement zu sein. So verschwimmen klare Momente mit Erinnerungen, Verwirrtheit und Illusion. Doch wir werfen auch einen ausführlichen Blick in Annas Leben vor der Demenzerkrankung. So verbringen wir mit ihr und ihrer großen Liebe Antti verschlafene Sommertage auf ihrer kleinen Felsinsel mitten im Schärenmeer. Wir erleben mit ihr einen Verlust, der zu groß ist, als dass sie ihn verarbeiten kann. So flüchtet Anna sich teilweise in eine Fantasiewelt und als Leser ist man sich nicht immer sicher, was nur Annas Vorsellungskraft entsprungen ist und was real. Wir begleiten Anna beim Versuch eines Neuanfangs in England, der nur bedingt funktioniert. Wir erleben sie als ältere Frau bei der sich die ersten Anzeichen einer Demenz zeigen und landen schließlich wieder mit ihr im Pflegeheim.

Mir haben die Parallelen zwischen den einzelnen Zeitebenen wunderbar gefallen. Die kleinen Momente in denen man sich fragt ob nur Annans Erinnerungen verschwimmen oder ob etwas echt geglaubtes nur Vorstellung war. Das hat Ahava äußert gekommt gemacht. Denn gerade die Teile der Erzählung, in denen Anna sich definitiv nur etwas vorstellt sind unheimlich ergreifend und ebenso fantasievoll. Und dann sind da wieder Momente im echten Leben, die so besonders sind, dass man sie ebenfalls für Fantasie halten könnte.

Anna ist eine spezielle, in sich gekehrte Figur. Dazu passt der ruhige, fast schon kühle Erzählton. Trotzdem fand ich sie unheimlich liebenswert und ich hätte gerne noch viel mehr über ihr Leben erfahren.

Der Blick in Annas Leben und auf die Themen Demenz, Verlust, Trauer und unerfüllte Wünsche hat mir ausgesprochen gut gefallen. Teilweise hatte ich Tränen in den Augen, weil die Mischung aus kühler Sprache und ergreifender Geschichte mich so getroffen hat. Ich kann allerdings verstehen, dass die Sprache und die fluiden Grenzen der Realität nicht jedermanns Sache sind. Für mich hat alles perfekt zusammengepasst. Ein melancholischer, nachdenklicher, wundervoller Roman, der langsam genossen werden will.