Rezension

Erinnerungen an Toronto

Katzenauge - Margaret Atwood

Katzenauge
von Margaret Atwood

Bewertet mit 4 Sternen

Drei Jahre nach dem Report der Magd veröffentlichte Margaret Atwood Katzenauge. Und wie ich es von ihr nicht anders gewohnt bin, geht dieser Roman thematisch wieder in eine ganz andere Richtung als sein Vorgänger. Wir folgen der kleinen Elaine, die mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder in eine Neubausiedlung nach Toronto zieht. Der zweite Weltkrieg ist gerade vorbei und Elaines Leben spielte sich bisher hauptsächlich im Auto ab. Als Biologieprofessor bekam ihr Vater zu Kriegszeiten keine Arbeit und so nomadisierte die Familie durchs Land. Elaine wünscht sich sehnlichst eine Freundin, aber als es dann soweit ist und sie Mädchen in ihrem Alter begegnet merkt sie, dass sie zu deren Welt keinen richtigen Zugang findet. Und die anderen Mädchen merken ihr diese Schwäche schnell an.

„Toronto liegt hinter ihr, in weiter Ferne, in meinen Gedanken brennend wie Gomorrha. Auf das ich nicht zu blicken wage.“
S.447

Elaines Sicht auf ihre Umwelt ist großartig beschrieben. Sie hat einen kindlichen Ernst, eine leichte Melancholie und eine pragmatische Weltsicht. Ihr zu folgen macht mal Spaß und ist mal bitter. Der zweite Handlungsstrang, in dem Elaine als Erwachsene Frau nach Toronto zurückkehrt hat mich etwas weniger mitgezogen. Dafür war hier die Kunst, die Elaine als Erwachsene macht beschrieben und die hat mich wieder sehr begeistert. Wie viele Erinnerungen darin stecken war wunderbar zu sehen. Und dazu die absurden Beschreibungs- oder Interpretationsversuche der Galeristen. Köstlich.

Margaret Atwood ist ein sehr wahrhaftiger Roman übers Aufwachsen, über Erinnerungen, Freundschaft und Kindheit gelungen. Sie zeigt, wie Begebenheiten aus der Kindheit jemanden bis ins Erwachsenenalter begleiten können. Wie prägend diese Zeit sein kann. Dabei ist der Roman sehr vielseitig: Ein bisschen Kunst und ein bisschen Biologie spielen eine Rolle. Ein bisschen Familie, ein bisschen Liebe und viel Lebensgefühl einer anderen Generation.

„Hier war früher Eaton's, hier an dieser Ecke, ein gelber Würfel. Jetzt befindet sich dort an seiner Stelle ein großes Gebäude, das Einkaufskomplex heißt, als wäre Einkaufen eine Geisteskrankheit.“
S.137

Ich mochte Elaine sehr gerne und auch der Ausflug in eine andere Zeit – so fühlt sich die beschriebene Kindheit und Jugend in den 50ern und 60ern zumindest an – fand ich spannend. Allerdings ist es ein langsames, unaufgeregtes Buch ohne große Dramen, das zwar angenehm zu lesen ist, aber seine Zeit braucht. Wie für alles andere was ich von Atwood bisher las, gibt es auch für diesen Roman eine Leseempfehlung.

„Wir sind unzugänglich, wir funkeln, wir sind dreizehn.“
S. 14