Rezension

Erpresste Kameliendamen: ein zeitübergreifender Spannungsroman!

Der Kameliengarten - Sarah Jio

Der Kameliengarten
von Sarah Jio

Bewertet mit 4.5 Sternen

Irgendwann im letzten Jahr begab es sich, dass ich durch ihren Roman "Zimtsommer"zufällig auf die Autorin Sarah Jio aufmerksam wurde, der mir ausnehmend gut gefiel, so dass ich im Folgenden nun auch zu Jios Werk "Der Kameliengarten" griff - und inzwischen schon ein weiteres Buch Jios auf meinem Leseplan habe.

"Der Kameliengarten" erzählt parallel von zwei verschiedenen Zeitsträngen, in denen auch zwei unterschiedliche Erzählerinnen zu Wort kommen, welche sich allerdings nicht nur Beide für Floristik begeistern, sondern die auch beide, in Folge von Erpressungen, in jungen Jahren aus den USA nach England auf das Anwesen von Livingston Manor gekommen sind. Doch während die junge Addison aus dem Heute lediglich ein Versteck vor ihrem Erpresser erhofft, wurde die junge Flora 1940 von einem international agierenden Ring von Blumendieben gezwungen, eine Anstellung als Nanny anzunehmen, um auskundschaften zu können, ob auf dem Grundstück tatsächlich eine als verschollen geltende, aber dort verblieben geglaubte, Kamelienart wächst. ...
Die Aufzeichnungen Lady Livingstons, die Addison im Haus entdeckt, welches mit Mann und Maus von ihren Schwiegereltern im Rahmen des Hauskaufs übernommen werden musste,ziehen Addison gleich in ihren Bann: Der inzwischen verwilderte Kameliengarten war ihr gleich aufgefallen und die Notizen lassen vermuten, dass Lady Livingston im Besitz einer Kamelie war, die man als ausgerottet glaubt, und zudem die seltsamen Ziffernfolgen, die sich Addison nicht erklären kann: Hat Lady Livingston ein Geheimnis gehütet? Auch die nach wie vor auf Livingston Manor tätige Haushälterin, die den Livingstons schon zu Diensten war, als Flora 1940 anreiste, wirkt dubios und die Bewohner der Gegend raunen von einem Fluch, der auf Livingston Manor läge. Was war da denn los?!
Und was hat sich in Addisons Vergangenheit abgespielt; wieso gibt sie ihrem Mann und dessen Familie vor, in mehr oder minder rosigen Verhältnissen aufgewachsen zu sein - und was plant sie weiter? Denn nach ihrer Rückkehr in die Staaten wird sie doch dort sicherlich wiederum von ihrem Nötiger erwartet werden...?!

Im Falle der "Kameliengarten"-Erzählung kann ich sogleich positiv festhalten, dass ich Addison sehr viel strukturierter in ihren Berichten fand als die gegenwärtige Protagonistin aus "Zimtsommer", wo ich doch manches Mal sehr aufpassen musste, wenn sie aus ihrer Vergangenheit erzählte, und plötzlich zur zweiten historischen Hauptfigur gewechselt wurde. Hier fand ich die Figuren trotz aller Parallelen deutlich voneinander abgegrenzt, was sicherlich auch damit zu tun hatte, dass Addisons Vergangenheit komplett in den USA stattgefunden hatte, während Flora zwar ihre Herkunft kurz anriss und ihren Fortgang begründete, fortan aber eben doch lediglich klar erkennbar aus Europa berichtete.
Wiederum folgte auf "Der Kameliengarten" ein kurzer Epilog, der sehr anrührend war, aber nicht so schicksalslastig-kitschig auf mich wirkte wie jener zu "Zimtsommer".
In diesen beiden Hinsichten fand ich "Der Kameliengarten" also klar besser umgesetzt.

Auch so gefiel mir die Geschichte sehr gut: Bei Flora springt man quasi mit ihr zurück in ihre Vergangenheit, an den Startpunkt ihrer Geschichte, und verfolgt diese daraufhin chronologisch weiter. Durch den auf ihr lastenden Druck, die Finanznöte der Familie, den von Kredithaien geplagten Vater, ihren Aufbruch gen Europa und das alles während des grade angebrochenen Zweiten Weltkriegs ist hier natürlich von vornherein eine gewisse Spannung gegeben.
Addison lernt man, noch in den USA befindlich, kennen, wo der Leser sofort davon in Lenntnis gesetzt wird, dass sie eben verfolgt und erpresst wird und dass es da einen dunklen Schatten auf ihrer Vergangenheit gibt, den sie weder Mann noch Schwiegerfamilie je offenbaren will. Was genau ihr Geheimnis ist, wird erst sehr spät offenbar; beiläufige Hinweise lassen immer wieder neu erahnen, dass hier eine wirklich schlimme Geschichte zu erwarten ist und deren Enthüllung habe ich mit absoluter Spannung erwartet (war sie flüchtig; war sie als Jugendliche gar an Mord beteiligt gewesen...?) ebenso wie die Aufklärung, was sich damals in und um Livingston Manor zugetragen hatte.
Da war "Der Kameliengarten" nun ein wenig "kriminalistischer", während "Zimtsommer" in erster Linie familiendramatisch ausfiel.

Dem "Kameliengarten" muss ich allerdings ankreiden, dass einige Hintergründe beider Protagonistinnen ungeklärt blieben: Grundsätzlich wurden die persönlichen Handlungsstränge beider zwar aufgeklärt, aber das Umfeld blieb in manchen Punkten doch unbeleuchtet.
Zudem: Im Prolog, noch weit vor dem 20. Jahrhundert stattfindend, wird die Suche nach der verschwundenen Kamelie sehr intensiv dargestellt, aber leider blieb ungeklärt, was es mit der Dame aus jenem Teil auf sich hatte, wo die Kamelie versteckt gehalten wurde und wie das dortige Schicksal letztlich ausgefallen war. Den Prolog hätte man von daher auch streichen können; der Hintergrund der gesuchten, begehrten Kamelie wurde später ausreichend erörtert, so dass dieses kurze Vorkapitel meines Erachtens wirklich nicht nötig gewesen wäre.

Im Allgemeinen habe ich die Lektüre dieses Jio-Romans aber einmal mehr sehr genossen! Klare Empfehlung für alle, die Belletristisches gerne lesen, sofern es neben einem historischen auch einen gegenwärtigen Erzählstrang enthält, welche sich miteinander verweben.