Rezension

Erschütternde & bewegende Geschichte einer arabischen Flüchtlingsfamilie

Während die Welt schlief - Susan Abulhawa

Während die Welt schlief
von Susan Abulhawa

Bewertet mit 4.5 Sternen

Im Jahre 1948, als der Israelische Staat ausgerufen wurde, musste die seit Generationen im dort ansässigen Dorf Ein Hod (15 km südlich von Haifa) lebende Familie Abulhija ihr Dorf verlassen. Letztlich war es eine gewalttätige Vertreibung. Flüchtlingsdörfer entstanden, u.a. Jenin (Dschenin), wo die Familie Unterschlupf fand und fortan lebte. Dort wurde auch Amal Abulhija geboren.

„Früh morgens, bevor die Welt um sie herum erwacht, liest Amals Vater ihr aus Werken großer Dichter vor. Es sind Momente des Friedens und des Glücks, die Amal ihr Leben lang im Herzen trägt […].“

Amal und ihre Familie leben ein schwieriges Leben im Flüchtlingslager. Einer ihrer Brüder – noch ein Kleinkind -verschwindet spurlos bereits vor Amals Geburt. Die Männer der Familien sind hin und hergerissen zwischen Zusammenhalt und Widerstand. Selbst, als Amal nach Amerika geht, leidet sie weiter unter diesem Konflikt -ein Konflikt zwischen Palästina und Israel, der sich zuspitzt, der schier ausweglos erscheint und kein Ende nimmt.

„Am 20.März [2002]  hatte ein Selbstmordattentäter sieben Israelis in Galiläa getötet. Dieses Attentat sollte den Tod von einunddreißig Palästinensern durch Israelis am 12. März rächen, was wiederum ein Racheakt für den Tod von elf Israelis am 11.März war, als Antwort auf den Tod von vierzig Palästinensern am 8.März, und so weiter und so fort.“ (Seite 384)

Susan Abulhawa ist Kind palästinensischer Flüchtlinge und wuchs auf in Kuweit, Jordanien und Jerusalem. Obwohl wir es mit einem rein fiktiven Roman zu tun haben, kann ich mir gut vorstellen, dass dieser auch autobiografisch inspiriert ist. Die Autorin verknüpft die fiktive Geschichte einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie über vier Generationen mit geschichtlich belegten Ereignissen und erzeugt dadurch ein sehr reales und aufgrund dessen zutiefst erschütterndes und berührendes Bild des Lebens und der Zerrissenheit dieser Menschen. Was anfangs ein wenig „einseitig“ anmutet – sie schreibt in erster Linie aus Sicht der Palästinenser – findet sich im Verlauf dieses Romans zu einem runden Ganzen. Immer wieder und besonders zum Ende hin beleuchtet Abulhawa ebenso die Seite Israels. Sie versucht voller Wärme und Liebe ein Zeichen zu setzen. Solch ein Irrsinn, wie auf Seite 384 überdeutlich beschrieben (siehe Zitat), muss endlich einmal gestoppt werden...

Abulhawas Sprache ist schlicht, prägnant und warmherzig. Zuweilen habe ich das Gefühl, einer Geschichtenerzählerin aus 1001er Nacht zu lauschen. Liebevoll erzählt sie von den Kindertagen Amals und ihrer besten Freundin, ihres Bruders und ihrer Eltern, von Bräuchen und Hochzeiten, von der ungeheuren Freundlichkeit der Menschen. Es hat den Anschein, dass die Menschen trotz vieler Entbehrungen ein größtenteils gutes Leben führen können, immer in der Hoffnung, dass es irgendwann wieder besser wird. Dann jedoch werde ich Zeuge grausamer Gewalttaten und muss erst einmal mit der Lektüre pausieren um es zu verdauen.

Was mich ein bisschen irritiert hat, sind die  unterschiedlichen Erzählperspektiven, die in großen Teilen des Romans abwechseln zwischen den Ich-Erzählern „Amal“ und ihrem Bruder „Yussuf“ und einem neutralen Erzähler. Auch die größeren Zeitsprünge zum Ende hin haben es mir nicht ganz leicht gemacht, „am Ball“ zu bleiben. Hier ist Konzentration gefragt.

Fazit: Ein kraftvoller Roman, der den Israel-Palästina-Konflikt einmal von einer anderen Seite beleuchtet und hinterfragt. Ein Roman, der die Zerrissenheit, Angst, Trauer und Wut der Menschen auf beiden Seiten Werten wie Liebe, Hoffnung und Stolz gegenüberstellt. Ein Roman, der gleichermaßen erschüttert und berührt. Keine leichte Kost, aber nach wie vor aktuell. Geschichtlich und erzählerisch absolut zu empfehlen.