Rezension

Erst begeistert, dann ernüchtert

All das zu verlieren - Leïla Slimani

All das zu verlieren
von Leila Slimani

Bewertet mit 3 Sternen

So schnell kann Begeisterung in Ernüchterung umschlagen: Die ersten zwei Drittel dieses Romans haben mir ausgesprochen gut gefallen. Adele ist eine unbequeme Figur; um etwas zu spüren stürzt sie sich in ein sexuelles Abenteuer nach dem andren. Doch die erhoffte Wirkung bleibt meist aus. Sie fühlt sich leer, nichts macht ihr Freude, weder ihre Arbeit, noch ihr kleiner Sohn. Ihren Mann hat sie mehr aus Pragmatismus denn aus Liebe geheiratet und trotzdem hat sie furchtbare Angst, er könnte hinter ihre zahlreichen Betrügereien kommen. Ich habe das Polarisierende an Adele geliebt. Ihre Zerrissenheit, ihren Zwang, ihre Haltlosigkeit. Sie tut einem einerseits leid, andererseits ist sie ein Arsch.

Adeles Leid ist großartig beschrieben. Die düstere Stimmung die Slimani erschafft, passt wunderbar dazu. Der Text liest sich sehr schnell und sehr flüssig, man könnte das Buch gut in ein oder zwei Tagen weglesen. Und die große Frage, die dem Leser antreibt ist natürlich das Warum! Wie wird ein Mensch so? Wie rutscht jemand in ein Leben, das nur aus Einsamkeit, Gefühllosigkeit und Sex besteht. Doch genau das enthält einem Slimani vor.

Ernüchterung: Die Dinge, die im letzten Drittel des Romans beschrieben sind, passten meiner Meinung nach überhaupt nicht zum Rest. Gerade an den Stellen, an denen der Blick in Adeles Kopf am spannendsten gewesen wäre, wechselt plötzlich die Erzählperspektive. Wir bekommen den klassischen betrogenen Ehemann. So weit so uninteressant. Aber auch als wir wieder Adele selbst folgen, konnte ich sie nicht mehr greifen.

Für mich zeichnet sich eine ungute Regelmäßigkeit ab: Schon in „Dann schlaf auch du“ war die Stimmung fantastisch. Dafür hat Slimani ein Händchen. Aber auch da kam das „Warum?“ etwas zu kurz. Slimani scheint gerne polarisierende Charaktere zu erschaffen, aber der spannendste Punkt, nämlich wie sie zu dem wurden was sie sind, bleibt offen. Das ist schade, schreibt sie doch so unheimlich gut!

Kommentare

wandagreen kommentierte am 10. Juni 2019 um 15:11

*beipflicht*