Rezension

Erst super Portrait, dann ziellos

Gun Love - Jennifer Clement

Gun Love
von Jennifer Clement

Bewertet mit 3 Sternen

Jennifer Clement beschreibt in der ersten Hälfte ihres Buches 'Gun Love' Pearls Leben in einem im negativen Sinne typischen amerikanischen Trailerpark. Die kleine Jugendliche lebt dort mit ihrer Mutter Margot in einem stillgelegten Mercury und hat nur eine Freundin, die mit ihren Eltern ebenfalls in diesem Moloch lebt. Nebenan ist die Mülldeponie, deren giftige Dämpfe die Luft verpesten und nachmittags am Fluss üben die Halbstarken das Schießen auf kleine Krokodile und Mutationen und verpesten das Leben und die Luft dort auf ihre Art. Margot ist herzensgut und scheinbar übersinnlich emotional. Pearl kennt nichts anderes als die Liebe ihrer Mutter und ihre winzige Welt. 

Schnell wird deutlich, dass der Trailerpark Dreh- und Angelpunkt des illegalen Waffenhandels ist und dieser bringt den undurchschaubaren Eli auf den Plan. Margot verliebt sich in ihn und schiebt Pearl aufs Abstellgleis. Doch seine Anwesenheit ist es, die schließlich für Margots Tod sorgt. 

Das ist die erste Hälfte des Buches, die durch die Augen der unschuldigen Protagonistin, die nichts anderes kennt, als ihr Leben dort, durch einen gefühlten Widerspruch aus poetischer Sprache und lebensbedrohlicher Wirklichkeit, bedrückend bewegend erzählt wird. Für diesen Teil des Buches würde ich locker 4 Sterne vergeben, denn Jennifer Clement gelingt es, zu vermitteln wie normal das Leben unter ärmsten Umständen und inmitten von ständig präsenten Waffen für die Bewohner solcher Gebiete ist. Durch Pearls Augen lernt der Leser diese 'alternative Wirklichkeit' kennen und dank der durch Margot vermittelte esoterisch-emotionale, liebende Grundstimmung fast schon schätzen - ausversehen, sozusagen.

Der zweite Teil des Buches beschreibt, wie es mit Pearl nach Margots Tod weitergeht. Hier wird dann unter anderem das Thema Foster Care (Pflegefamilien) in Amerika angerissen, dann aber wieder fallen gelassen. Vielmehr holt Pearl der Trailerpark wieder ein und die Waffen, die den Tod ihrer Mutter bedeuteten, verfolgen sie wie ein Fluch. Schließlich geht es nach Mexiko, der Leser muss sich mit der Verehrung der ermordeten amerikanischen Tejano-Sängerin Selena Quintanilla-Pérez auseinandersetzen und darf sich wundern, was wohl aus Pearl werden wird. 

Hier werden für meinen Geschmack zu viele Themen angerissen und dass der Roman den Trailerpark als Schauplatz seiner Handlung verlässt, tut ihm in meinen Augen nicht gut. Warum Selena so wichtig ist, wurde mir als Leser (auch nach zusätzlicher Recherche) nicht wirklich klar und was diese Episode im Buch zu suchen hat, kann ich mir nicht erklären. Vielmehr hat der zweite Teil des Buches einen dramaturgischen Höhepunkt, der viel mehr ausgebaut und als Ende des Romans hätte inszeniert werden können. Damit hätte der Roman auch mehr von einer Botschaft erhalten, die so, aufgrund der ungewissen Zukunftsaussichten für Pearl, die komplett der Vorstellungskraft des Lesers überlassen werden, nicht deutlich herauszulesen ist, bzw. etwas zurückgedrängt wird. 

Mir hätte das Buch besser gefallen und ich hätte es als informativer (und wahrscheinlich auch bedrückender) empfunden, wenn es sich in der Thematik auf die Waffenliebe beschränkt hätte und auch örtlich mehr gebunden gewesen wäre. So ist es mir zu offen und vermittelt (vielleicht ungewollt oder nur für mich nicht erkennbar) eine Fülle von Möglichkeiten, die Kinder in Pearls Situation wahrscheinlich in der Regel nicht haben. 
Deshalb gefiel mir die zweite Hälfte des Buche leider weniger als die erste. Insgesamt war es aber eine bewegende Lektüre.