Rezension

Erst zu kriegslastig, dann kommt volles Fantasy-Feeling auf - eine klasse Fortsetzung!

Die Chroniken von Azuhr - Die Weiße Königin - Bernhard Hennen

Die Chroniken von Azuhr - Die Weiße Königin
von Bernhard Hennen

Bewertet mit 4 Sternen

Puh. Das waren wahnsinnig anspruchsvolle 622 Seiten. Nicht nur, dass Hennen hier einer gewaltigen, intelligent zusammengesponnenen Idee Leben eingehaucht hat, die man bis zuletzt nicht komplett zu durchblicken scheint, auch der zeitliche Abstand zu Band 1 war für mich eine große Herausforderung, denn ich hatte viele wichtige Details vergessen, die mir für das volle Verständnis der Handlung gefehlt haben. Aufgrund dessen rate ich definitiv, die Bände wenn möglich direkt hintereinander zu lesen, damit keine Wissenslücken aufkommen, wie es bei mir der Fall war. Diese werden nämlich nicht alle durch den zweiten Band geschlossen.

Auch aufgrund dessen waren die ersten 300 Seiten für mich mehr Anstrengung als Freude. Man wird erbarmungslos in die Welt gestoßen, zunächst mit unbekannten Figuren konfrontiert, die man nicht einzuordnen weiß, und mit den zahlreichen Namen der verschiedenen Völker überhäuft, dass ich mich erstmal ganz schön überfordert gefühlt habe, weil alles aus Band 1 nicht mehr so präsent war. Dazu kam, dass die ersten 300 Seiten vor allem Einblicke in das Kriegsgeschehen geben und das Schmieden und Umsetzen von Schlachtplänen und Intrigen im Vordergrund stehen.

Ich muss gestehen, es fiel mir diese 300 Seiten lang wirklich schwer, am Ball zu bleiben, weil mich diese Schlachteinblicke nicht in dem Ausmaß interessiert haben. Es ist definitiv wahnsinnig gut und anschaulich geschrieben, sodass man sich Personen, Handlungen und Umgebungen gut vorstellen kann, aber Hennen verliert sich – für meinen persönlichen Geschmack – manchmal etwas zu sehr in Details, zum Beispiel in die ausführliche Beschreibung von Rüstungen. Wenn man dann nicht so sehr mit dem dazugehörigen Vokabular vertraut ist, kann das beim Lesen eher anstrengend werden. Gleichzeitig wird aber gerade dadurch die Kriegsatmosphäre aufgebaut.

Es ist anspruchsvoll und man muss konzentriert lesen, um alles zu verstehen, aber für mich hat sich das nach den 300 Seiten wirklich gelohnt. Denn hat man erstmal die erste Hälfte des Buches gelesen, tritt das Kriegerische schließlich immer mehr hinter den Mären zurück, die mich schon in Band 1 so gefesselt haben. Die Märenfiguren, die auftauchen, kommen einem stellenweise bekannt vor, sind aber doch ganz eigen und machen die Geschichte zu etwas Besonderem. Durch das Auftauchen der verschiedenen Wesen wird die Spannung immer wieder in die Höhe geschraubt. Das Lesen hat in der zweiten Hälfte unglaublich viel Spaß gemacht und ich bin ein weiteres Mal beeindruckt davon, wie viel Überlegung und Kreativität hinter der Geschichte steckt. So viele vermeintlich unabhängige Handlungsstränge laufen zu einem großen Ganzen zusammen, das sich uns wohl erst in dem finalen Band erschließen wird.

Dieser zweite Band hat mich vor allem mit Verwirrung zurückgelassen, denn es haben sich Wendungen ergeben, die eigentlich mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben haben. Das Besondere der Reihe liegt auch darin, dass man eigentlich zu keinem Zeitpunkt weiß, auf wessen Seite man stehen sollte. Wer ist hier gut, wer ist böse? Jeder hat seine Licht- und Schattenseiten. Die Figuren wirken wie echte Menschen. Es gibt nicht die eine gute Seite, die all die intelligenten Pläne knüpft, um die andere Seite in eine Falle zu locken, sondern jede Seite hat seine sympathischen Figuren mit genialen Einfällen, die sich gegenseitig immer wieder herausfordern. Zu keinem Zeitpunkt ist klar, welche Seite siegen wird, niemand ist dem anderen gnadenlos überlegen. Dadurch weiß die Reihe einen stetig zu überraschen, zu fesseln und, ja, auch zu verwirren.

Fazit

Alles in allem hat mir dieser zweite Band wieder gut gefallen. Es ist keine leichte Kost, man muss konzentriert lesen und stetig mitdenken, um alles zu verstehen. Die erste Hälfte des Buches kann für Leser, die sich nicht so sehr für Kriegsführung und dergleichen interessieren, nicht ganz so spannend, ja vielleicht sogar anstrengend sein (ich persönlich habe das so empfunden). Aber in der zweiten Hälfte treffen wir immer mehr auf interessante Märengestalten (Basilisken, Einhörner, der Krähenmann, etc.) und das Fantasy-Feeling kommt endlich durch und reißt einen mit. Ab da war ich durchgehend begeistert und kann deshalb vier Sterne vergeben und eine klare Leseempfehlung aussprechen.