Rezension

Erste Schritte

Alle Toten fliegen hoch - Joachim Meyerhoff

Alle Toten fliegen hoch
von Joachim Meyerhoff

Bewertet mit 4.5 Sternen

Von der ersten Seite an folgt der Leser gebannt Meyerhoffs jugendlichem Helden, der sich aufmacht, einen der begehrten Plätze in einer amerikanischen Gastfamilie zu ergattern. Aber schon beim Auswahlgespräch in Hamburg werden ihm die Unterschiede zu den weltläufigen Großstadt-Jugendlichen schmerzlich bewusst. Konsequent gibt er sich im alles entscheidenden Fragebogen als genügsamer, naturbegeisterter und streng religiöser Kleinstädter aus – und findet sich bald darauf in Laramie, Wyoming, wieder, mit Blick auf die Prärie, Pferde und die Rocky Mountains. Der drohende Kulturschock bleibt erst mal aus, der Stundenplan ist abwechslungsreich, die Basketballsaison steht bevor, doch dann reißt ein Anruf aus der Heimat ihn wieder zurück in seine Familie nach Norddeutschland – und in eine Trauer, der er nur mit einem erneuten Aufbruch nach Amerika begegnen kann.

„Joachim Meyerhoff befriedigt konkurrenzlos ein tief verankertes menschliches Grundbedürfnis, das im Grund bloß verzweifelt nach Geschichten hungert – und nach jemandem, der sie eloquent zu erzählen weiß.“ Der Standard (vom Klappentext).
Treffender kann man es nicht ausdrücken. Der Autor erzählt einen wichtigen Teil aus seiner Biographie und zwar das Jahr, das er als Schüler in Amerika verbrachte und das ihn wesentlich prägte.

Joachim verbringt seine Kindheit in einem kleinen norddeutschen Ort als Jüngster von drei Brüdern. Jeder kennt jeden, und seine Eltern lassen ihn an der „langen Leine laufen“. Warum er dieses Auslandsjahr unbedingt absolvieren will, ist ihm selbst nicht klar; es ist eher ein Drang danach, etwas völlig anderes zu sehen und zu erleben, und das unbewusste Wissen, dass es ihm gut tut, und dass es für sein Erwachsenwerden wichtig wird.

In Hamburg muss er an einem Auswahlverfahren teilnehmen. Schon diese Reise ist so gut wie ein Abenteuer, und Joachim genießt die Stunden abseits von Eltern und Brüdern, obwohl er sich den anderen Jugendlichen gegenüber aufgrund seiner Herkunft, seiner Bildung und seiner finanziellen Lage unterlegen fühlt. Als er schon nicht mehr damit rechnet, erhält er positiven Bescheid.
Die anfängliche Befürchtung, nun allein im Nirgendwo von Wyoming bei einer frommen Familie zu versauern, erfüllt sich nicht: „The German“, wie er an der Schule und später im Basketballteam genannt wird, ist bald Teil der Schulgemeinschaft und der Familie, obwohl der gleichaltrige Don, Sohn der Gastfamilie, ihm das Leben schwer macht.
Viele Unterschiede verblüffen ihn: Angefangen vom Kaffee, den man in Amerika nicht tassenweise bezahlen muss, über die weiten Strecken, die man mit dem Auto mal eben zwischendurch zurücklegt bis zu dem Make up, den Frisuren und dem Gebaren der Mädchen.
Als er wieder nach Deutschland zurückkehrt, fühlt er sich, als müsse er seine Heimat verlassen. Vor allem, weil in der Zwischenzeit ein Unglück über seine Familie hereinbrach, für das er Wyoming zwar kurzzeitig verließ, das er aber dort, fern von seinem deutschen Zuhause, verdrängen konnte.

Was ist das besondere an einem Buch, dessen Thema, das Erwachsenwerden, schon tausendfach beschrieben wurde, das darüber hinaus eine Autobiographie ist, ein Genre, das man bekanntlich skeptisch lesen sollte?
Es ist großartig, wie Meyerhoff den Duktus eines Halbwüchsigen trifft, und wie er die Entwicklung eines unsicheren 17-jährigen zum selbstbewussten und starken jungen Erwachsenen schildert. Man wird selbst noch einmal 17 und weiß auf einmal wieder, wie es damals war.
Kann man einem Autor ein schöneres Kompliment machen?