Rezension

Erzählkunst vom Feinsten, auf realen Begebenheiten beruhend

Der Halbbart - Charles Lewinsky

Der Halbbart
von Charles Lewinsky

Bewertet mit 5 Sternen

Großartige mittelalterliche Atmosphäre mit liebenswerter Hauptperson, trotz aller Grausamkeiten humorvoll, auch durch das Schwyzerdütsch

Wir tauchen tief ins schweizerische Mittelalter ein, Anfang 14. Jahrhundert, wo wir in einem kleinen Dorf im Tal Schwyz auf interessante Persönlichkeiten treffen:

Da ist der geheimnisvolle 'Halbbart' mit den Brandwunden im Gesicht, der plötzlich im Dorf auftaucht und dem anscheinend Schlimmes passiert ist. Er nimmt sich des intelligenten Jungen Sebi (eigentlich Eusebius) an und regt ihn zum Denken über das Leben und die Menschen an. Dieser Sebi ist die Hauptperson des Buches, einer, der alles hinterfragt und auf keinen Aberglauben hereinfällt, anders als seine Zeitgenossen. Durch ihn lernen wir die verschiedensten Lebensumstände der Zeit kennen: das Dorf, Kloster Einsiedeln, eine Schmiede, aber vor allem das Geschichtenerzählen.

Sebi ist ein gradliniger, ehrlicher, liebenswerter Charakter, der sich schnell ins Herz des Lesers erzählt und der hauptsächlich der Grund ist, warum man das Buch am Ende mit Bedauern zuklappt, obwohl es doch 677 Seiten hat. Die sind mir mit keiner Minute langweilig geworden. Trotz aller Grausamkeiten gibt es auch liebenswerte und lustige Momente. Die sind nicht zuletzt der köstlich lautmalerischen Schweizer Sprache geschuldet und deren meiste Wörter man aus dem Zusammenhang versteht. Ein paar Kostproben:

Hundegäggel, in die man besser nicht hineintritt, nach dem Bier war ihm trümmlig, das Herz hat gepöpperlet (386), Mammititti, die mehrbesseren Leut' (313), der Sebi war kein Kräftiger, Brutaler, sondern ein Finöggel.

Ungewöhnliche Sprachbilder: kein Moment für Werktagsworte (50), wegen fehlender Zähne ertrinken ihr die Worte im Mund (392) u.v.m.

Leidenschaftliche Leser neigen dazu, Stellen zu markieren. Hier sind es so viele, dass einem der 'rote Stift' leer wird oder die Klebezettel ausgehen. Diese 'Weisheiten' mögen keine neue Einsichten sein, sondern sind eher so alt wie die Menschheit:

Auch dabei stehen und zusehen, "das ist fast so, als ob man es selber macht." (317)

Aber die Gerechtigkeit ... ist mehr eine Sache für die Predigten als für die Wirklichkeit (330).

Mir scheint, je weniger jemand etwas von einer Sache versteht, desto lauter redet er darüber (372).

Kurz und gut: ein empfehlenswertes Buch, bei dem man ganz nebenbei noch einiges lernt.