Rezension

Es geht um den mündigen Patienten

Patient ohne Verfügung - Matthias Thöns

Patient ohne Verfügung
von Matthias Thöns

Bewertet mit 5 Sternen

Matthias Thöns, Patient ohne Verfügung, Piper 2016, ISBN 978-3-492-05776-9

 

Das vorliegende Buch von Matthias Thöns, der schon seit langer Zeit über dieses Thema nachdenkt und als niedergelassener Palliativarzt vielfältige Erfahrungen damit gemacht hat,, ist ein weiterer großer Stein, der aus einer großen Mauer entfernt wird. Eine Mauer, über eine lange Zeit aufgebaut worden, die um den Tod herumgezogen wird. Eine Mauer, die den Tod tabuisiert und ins Anonyme von Sterbezimmern, Altenheimen und Krankenhäusern zwingt. In einer Gesellschaft, die das Junge preist, den Erfolg, die der Leistung und der Schönheit huldigt, hat der Tod keinen Platz.

 

Doch es gibt schon seit vielen Jahren eine Bewegung, die nicht nur in Büchern, sondern auch ganz praktisch in immer mehr Hospizen und den Gruppen, die sie tragen, haupt- und vor allen Dingen ehrenamtlich, versucht, eine Kultur zu etablieren, in der man über das Sterben und den Tod wieder reden und den Abschied leben lernen kann.

 

Das vorliegende Buch ist ein wichtiger Beitrag dazu. Mit großer Detailkenntnis schreibt Matthias Thöns vom „Geschäft mit dem Lebensende“, das mit „Patient(en) ohne Verfügung“ in den deutschen Kliniken gemacht wird.

 

Da geht es in verschiedenen Kapiteln in einem ersten Teil um die häufigsten Fälle, wo Leben sinnlos verlängert und das Leiden der Menschen nicht gelindert wird:

 

Lungenversagen
Chemotherapie ohne Wenn und Aber
Unnötige Operationen
Wehrlos im Wachkoma
Dialyse
Strahlentherapie
Künstliche Ernährung

u.a.

 

In einem zweiten Teil geht es um Alternativen bei Schmerzen, beim Notarztdienst, und in der Palliativversorgung.

 

Es geht um den mündigen Patienten. Zu dieser Mündigkeit will das Buch ermutigen. Deshalb hat Thöns auch im Anhang eine Patientenverfügung abgedruckt, die auf den neuesten rechtlichen Stand ist.

 

Es ist wichtiges Buch, das keinen unberührt lässt, der sein  eigenes Sterben und seinen Tod nicht immer noch mit Macht verdrängt (dann greift er wohl nicht zu diesem Buch). Ein Buch für Menschen, die für sich selbst und dann vielleicht auch im Gespräch mit denen, die ihnen lieb und wert sind, lernen wollen, sich in dieser Tabuzone freier zu bewegen Dazu will Matthias Thöns mit seinen Plädoyer gegen Übertherapie am Lebensende ermutigen. Er wäre sicher auch mit jenem Satz einverstanden, den Henning Scherf und Annelie Keil in ihrem gleichzeitig erschienenen Buch „Das letzte Tabu“ formulieren:

„Alles Leben ist endlich. Wir möchten Mut machen, sich darauf wieder zu besinnen. Gerade im Sterben, wenn wir unsere Verletzlichkeit besonders stark erfahren, brauchen wir Professionalität und Phantasie, Eigensinn und gegenseitigem Respekt, vor allem aber persönliche menschliche Zuwendung. Wenn wir Ängste und Sorgen gemeinsam annehmen, bleibt niemand ausgeschlossen; so kann eine Kultur der Menschlichkeit am Lebensende gelingen.“