Rezension

Es gibt Bücher, die finden einen

Mein Leben war nicht, wie es war -

Mein Leben war nicht, wie es war
von Jutta Reichelt

Bewertet mit 5 Sternen

Ich bin ja grundsätzlich davon überzeugt, dass es keine Zufälle gibt und dieses Buch hat es wieder bestätigt.

Der Titel hatte mich angesprochen – auch in seiner Doppeldeutigkeit mit dem eingerückten „nicht“. Dazu das passende Cover – Häuser, die normalerweise akkurat gerade gebaut werden, zeigen sich hier verformt und irgendwie unangepasst angepasst.

Mit dem Unterbegriff Essay, konnte ich zunächst nichts anfangen. Aber der Duden belehrt mich, dass es sich dabei um eine schriftliche Abhandlung, die eine wissenschaftliche oder literarische Frage auf präzise, knappe, aber zugleich anspruchsvolle Art behandelt. Ja, das trifft es perfekt.

Die Autorin nimmt uns, sehr persönlich, mit auf eine innere und äußere Reise. Im Grunde geht es nicht nur um eine Frage, aber wenn man sich für eine entscheiden müsste, dass vielleicht: Bin ich traumatisiert?

Sie nimmt uns mit auf eine Offenbarung, die sich zunächst nur andeutet, die wie ein nicht greifbares Phänomen im Raum steht. Andeutungen, Symptome und doch ist da zunächst nichts, was sich eingrenzen lassen würde. Und dann wird es klarer und es hat Auswirkungen. Auswirkungen auf ihr eigenes, aber auch auf das ihrer Familienmitglieder.

Und immer wieder die bange Frage: Kann ich mir und meinen Erinnerungen trauen?

Faszinierend, wie viel Literatur die Autorin dazu gelesen hat und wie sie ihre gewonnenen Erkenntnisse in den Text einfließen lässt. Leider ist mein Bücherstapel dadurch wieder um einige Meter gewachsen.

Ein sehr persönliches Buch, aber eben auch das Zeugnis eines langen Weges, deren Etappen sich bei vielen Betroffenen ähneln. Natürlich ist es ihre ureigene Geschichte und dennoch sind es Streckenabschnitte, die bekannt vorkommen. Ist das wirklich so passiert? Welche Rolle hatten die anderen in diesem Familiendrama? Kann ich konfrontieren? Wie wirkt sich das auf die Beziehung zu den Beteiligten im Heute aus? Bin ich nur noch Opfer und der andere nur noch Täter?

Ein Essay sei eine kritische Auseinandersetzung, habe ich mich lehren lassen und genau das ist es. Differenziert betrachtet, nicht hoch emotional, unterlegt mit vielen Zitaten aus für die Autorin hilfreichen Büchern, von vielen Seiten betrachtet und grundehrlich.

Mich hat das Buch zur richtigen Zeit gefunden und mir viele Gedankenanstöße für mich und meinen Umgang mit dem Thema gegeben. Das Buch könnte, neben ihrer eigenen Aufarbeitung und der für die Autorin gefunden Auseinandersetzung, so etwas wie ein Leuchtturm sein.