Rezension

Es gibt nichts gratis in den Sozialen Medien

Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst - Jaron Lanier

Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst
von Jaron Lanier

Bewertet mit 4 Sternen

Als Jaron Laniers Streitschrift auf dem Weg in die Druckerei war, wurde sein Warnruf bereits von der Realität eingeholt – Anfang 2018 wurde der Cambridge Analytica Skandal bekannt. 87 Millionen Facebook-Nutzer müssen damit rechnen, dass ihre Daten verkauft worden sind. Lanier hält die Sozialen Medien für eine gigantische Fehlkonstruktion und ihre Nutzer für Versuchskaninchen. Anstatt den Menschen zu nützen, würden in digitalen Netzwerken Suchtverhalten ausgenutzt und negativste Eigenschaften von Usern gefördert. Wer sich am niederträchtigsten aufführe, erhielte dort die größte Aufmerksamkeit. Die Sucht nach Status und Anerkennung und die Abhängigkeit von der Meinung anderer sei durch das Belohnungssystem gesteuert. Entwickler von Algorithmen und virtuellen Belohnungssystemen würden jedoch ihre eigenen Kinder von ihren Produkten fernhalten und sie auf Waldorfschulen schicken. Weitere Kritikpunkte sind Verhaltensmodifikation des Nutzers (Konsum, Wahl), „sozialer Vandalismus“ durch ein unübersehbares Ausmaß an Fake-Identitäten/Fake-Bewertungen, die Beherrschung des digitalen Raums durch Trolle und die offene Degradierung von Frauen und Minderheiten. Lanier hat sich durch seine Aktivität in sozialen Medien negativ verändert und er hat aus seiner Beobachtung die Konsequenzen gezogen. Ob ich persönlich Einfluss nehmen kann, indem ich mich von Filterblasen fernhalte, die Verschwörungstheorien anhängen, finde ich allerdings fraglich. Ich gewinne jedoch Lebenszeit zurück …

Laniers verhaltenspsychologische Argumentation trifft in mehreren Punkten ins Schwarze. Nicht die technischen Möglichkeiten sind das Problem, sondern der Nutzer vor dem Bildschirm, der nicht wahrhaben will, dass auf die Dauer nichts gratis ist. Jeder zahlt mit seinen Daten, die Konzernen die Taschen füllen, die wiederum keine Steuern zahlen. Warum soll alles gratis sein und warum lieben wir zugleich IT-Gründungs-Superstars, fragt der Autor zu Recht. Warum Lanier sich in seinem Rant allerdings auf google und Facebook konzentriert und 3 weitere bestgehasste Konzerne ausschließt, kann ich mir nur damit erklären, dass er seine Kernthese so plakativer hervor schleudern kann: g und F haben Nutzer, keine Kunden. Kunden sind die, die dort Daten kaufen. Lanier appelliert, sich des inneren Trolls bewusst zu werden und das eigene Rudelverhalten zu überdenken. Nur in wenigen Momenten sei Rudelverhalten überlegen, im Alltag sei eine Summe von Einzelurteilen die bessere Lösung – die ursprünglich gelobte Schwarmintelligenz einer großen Nutzergruppe.

Lanier argumentiert nachvollziehbar, scheitert jedoch mit seinem Rant daran, dass durch die Mediennutzung der Trump-Ära ganze Texte wie Bücher zugunsten von Textschnipseln bereits abgewählt sind.