Rezension

"Es ist, als müsste man ein ganz anderer Mensch werden, um wirklich genau hinsehen zu können."

Die unglaubliche Reise des Smithy Ide - Ron McLarty

Die unglaubliche Reise des Smithy Ide
von Ron McLarty

Bewertet mit 5 Sternen

Smithson Ide, kurz Smithy genannt, führt ein unspektakuläres und trostloses Leben. Er ist 43 Jahre alt, trinkt zu viel Alkohol, ist stark übergewichtig, hat keine Freunde und arbeitet in einer Fabrik am Fließband. Außer seinen Eltern und seiner geliebten Schwester Bethany, die seit Jahren vermisst wird, gibt es für ihn keinen Ankerpunkt im Leben. Und dann schlägt das Schicksal erbarmungslos zu: ein Autounfall seiner Eltern zieht Smithy den Boden unter den Füßen weg. Als er dann auch noch die Nachricht erhält, dass seine verschollene Schwester tot aufgefunden wurde und die Leiche in L.A. auf die Überführung wartet, verliert Smithy jeglichen Halt. Ohne über Ziel und Sinn nachzudenken, setzt er sich betrunken auf sein altes Kinderfahrrad und tritt seine ungewöhnliche Reise quer durch die USA an ...

Gestaltung, Stil, Leseeindruck:
Ein schlichtes und doch ansprechendes Cover mit einer Illustration, die ein Fahrrad, einen Wegweiser, eine Straße und einen Sternenhimmel zeigt, machte mich neugierig und als ich den Klappentext las, dachte ich unwillkürlich an Rachel Joyce und ihr später erschienenes Buch "Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry". Und doch ist dieses Buch irgendwie anders.

Zwei Handlungsstränge, die sich stetig abwechseln, führen den Leser durch die Geschichte. Zum Einen wird Smithys Reise in der Gegenwart geschildert und parallel dazu erfahren wir im zweiten Erzählstrang seine Erlebnisse aus der Kindheit. Es ist schwer über das Buch zu schreiben ohne zu viel zu verraten und deshalb beschränke ich mich auf meinen Eindruck und die Gefühle, die das Lesen dieser Geschichte bei mir ausgelöst haben.
Smithy ist ein schwieriger Protagonist, er ist alles andere als beispielhaft und doch ist er liebenswert. Schnell wird klar, dass er ein Mann ist, der viel im Leben durchgemacht hat, nicht zuletzt seine Kriegserlebnisse in Vietnam und die psychische Erkrankung seiner Schwester. Was mich von Anfang an beeindruckt hat, ist der Familienzusammenhalt der Ides, diese Wärme und Herzlichkeit; der Versuch - trotz aller Widrigkeiten - immer an Hoffnung und Besserung zu glauben und weiter nach vorn zu schauen. Ein weiterer liebenswerter Charakter ist Norma, die seit ihrem sechsten Lebensjahr mit Bethany und Smithy befreundet ist. Ein quirliges, aufgewecktes Mädchen, das ein schweres Schicksal erleidet und dennoch stark bleibt und letztlich ein wichtiger Anker für Smithy wird. Die Reise Smithys erzählt von einer Suche aber auch vom Finden und Loslassen. Auf seinem Weg lernt er viele interessante, aber auch gebrochene Menschen kennen und mit jedem Kilometer auf dem Rad, verliert Smithy nicht nur an Gewicht, sondern gewinnt auch an Leben.

Ron McLarty hat einen einzigartigen Schreibstil, an den ich mich anfangs gewöhnen musste, der aber im Verlauf der Geschichte unglaublich passend daherkommt. Er vermeidet es, unnötig auf die Tränendrüse zu drücken, bisweilen muss man sogar Schmunzeln und dann wieder hat man beim Lesen einen Kloß im Hals. All diese Emotionen kommen plötzlich und unerwartet, sie schleichen sich von hinten an und man sieht sie oftmals gar nicht kommen. Ob die Geschichte vorhersehbar ist? Möglich - und doch lässt sie einen nicht mehr los. Wie schreibt Stephen King über dieses Buch so treffend: „Nein, es ist keine Literatur (bitte vergessen Sie nicht, dass ich das gesagt habe), aber es ist großherzig und so sättigend wie ein Sonntagsbraten zu Hause bei Ihrer Mom.“ Besser kann man es nicht ausdrücken.

Noch eine kleine Hintergrundinformation (Quelle: Amazon): Stephen King war hellauf begeistert. Ron McLartys Die unglaubliche Reise des Smithy Ide sei „der beste Roman, den Sie dieses Jahr nicht lesen können“, lobte der „King of Horror“ vollmundig. Nicht lesen können? fragten sich viele Leser. Ja, sagte King. Denn das Buch war von vielen Verlagen abgelehnt worden. Glücklicherweise arbeitete McLarty als Sprecher bei Recorded Books. Und deren Boss erlaubte ihm, sein Manuskript selbst vorzulesen und zum Download bereitzustellen. So wurde Die unglaubliche Reise des Smithy Ide ein Hit für Jogger und Zugreisende, bevor es seinen Siegeszug durch die Buchhandlungen antreten konnte.

Fazit:
Ein ungewöhnliches und sehr berührendes Buch, eine Geschichte über das Suchen und Finden, über das Erinnern und Vergeben. Absolut lesenswert.

★★★★★

Kommentare

Britta Röder kommentierte am 15. März 2014 um 19:36

Schöne Rezi und interessante Hintergrundinfo.

yvy kommentierte am 15. März 2014 um 20:17

Danke und ja - auch ich fand die Hintergrundinformation wirklich interessant, deshalb musste sie auch in die Rezension. :-)

LG

Naibenak kommentierte am 15. März 2014 um 20:48

Echt schön geschrieben! Das macht richtig Lust auf dieses Buch, welches sofort auf meine WL wandert :)

yvy kommentierte am 16. März 2014 um 15:51

Danke und viel Lesevergnügen!