Rezension

"Es ist die Wahl, nicht der Zufall, der Dein Schicksal bestimmt." (Jean Nidetch)

Grenzgängerin aus Liebe -

Grenzgängerin aus Liebe
von Hera Lind

Bewertet mit 4 Sternen

Die 21-jährige Sophie Becker lebt in Weimar und ist nun die Geliebte des 15 Jahre älteren verheirateten DDR-Funktionärs Karsten Brettschneider, den sie bei einem Tanzabend kennengelernt hat. In ihrem Urlaub an Bulgariens Goldstrand trifft Sophie auf Hermann, der aus Westdeutschland kommt und ihr schon bald Avancen macht, die Sophie nicht nur schmeicheln, sondern auch einiges an Gefühlen in ihr hervorrufen. Sophie steht auf einmal zwischen den Stühlen und stellt mutig einen Ausreiseantrag, der sie zu Hermann in den Westen bringen soll. Als sie in Bielefeld am Bahnhof ankommt, wird sie allerdings von Hermanns Eltern, die ein Hotel führen, in Empfang genommen, denn er selbst hat beruflich im Ausland zu tun. Sophie fühlt sich schon bald nicht mehr wohl, vermisst ihre Heimat Weimar und vor allem Karsten, der sie weiterhin umwirbt und ihr eine Rückkehr zu ihm nahelegt. So beschließt Sophie, Westdeutschland den Rücken zu kehren und zurück in den Osten zu gehen, was für sie nicht ohne Folgen bleibt…

Hera Lind hat mit „Grenzgängerin aus Liebe“ einen unterhaltsamen und gleichsam spannenden Roman vorgelegt, in dem sie sich erneut einem wahren Schicksal zugewandt hat. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil nimmt den Leser mit in die Deutsch-Deutsche Vergangenheit, wo er Sophie kennenlernt, die sich nicht nur im Widerstreit mit ihren Gefühlen befindet, sondern auch durch die Hölle gehen muss. Die Handlung wird aus der Sicht von Sophie erzählt, so dass man als Leser das Gefühl hat, mit ihr an einem Tisch zu sitzen und atemlos ihrer Geschichte zu lauschen. Der Handlungszeitraum erstreckt sich von 1974 bis 2020 und lässt den Leser nicht nur gemeinsam mit Sophie die gesamte Klaviatur des Gefühlsbarometers erleben, sondern durch den von der Autorin akribisch recherchierten und mit der Geschichte verwebten Hintergrund bekommt er auch einen Einblick in die menschenverachtenden Methoden, die damals in der DDR angewandt wurden, um Menschen gefügig zu machen oder zu bestrafen. Einerseits ist es gut nachvollziehbar, dass Sophie sich nach einem Leben in Freiheit sehnt, auch ihr Heimweh ist verständlich, doch ihre Entscheidung, in die DDR zurückzugehen ruft nur ein Kopfschütteln hervor, zumal ihr schon bei den Schwierigkeiten für die Antragstellung der Ausreise klar gewesen sein muss, was ein Weg zurück für sie bedeuten muss. Wenn man bedenkt, wie viele Menschen einen Weg aus dem Osten gesucht haben, kann man Sophies Beweggründe umso weniger verstehen.

Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und in Szene gesetzt worden. Mit ihren glaubwürdigen menschlichen Ecken und Kanten wirken sie authentisch und geben dem Leser die Möglichkeit sich an ihre Fersen zu heften und ihr Schicksal hautnah mitzuerleben. Sophie ist eine junge Frau, die noch an Liebe und Freiheit glaubt. Sie ist nicht nur sehr naiv, sondern in ihren Entscheidungen auch recht wankelmütig, gibt zu schnell auf und muss dann durch eine harte Schule, bei der sie erwachsen wird. Hermann erweist sich als freundlicher und ehrlicher Mann, der alles für Sophie tun würde. Karsten ist regimetreu und denkt nur an seinen eigenen Vorteil, das Schicksal der anderen ist ihm egal. Aber auch Sophies Schwester nebst Ehemann sind aus einem harten Holz geschnitzt.

„Grenzgängerin aus Liebe“ ist eine spannende und gefühlvolle Geschichte anhand einer wahren Biografie, die nicht nur eine Zeitreise ins letzte Jahrhundert erlaubt, sondern auch das geteilte Deutschland gut von beiden Seiten aufgreift. Alle, die gern Schicksalsromane lesen, werden hier gut unterhalten. Verdiente Leseempfehlung!