Rezension

Es ist noch nicht vorbei!

Das Herz der verlorenen Dinge - Tad Williams

Das Herz der verlorenen Dinge
von Tad Williams

Bewertet mit 4 Sternen

Nach ihrer vernichtenden Niederlage versuchen sich die Nornen von neuem zu sammeln. Ihre Königin liegt in tiefem Schlaf und die Menschen sinnen nach Rache für den vergangenen Krieg. Sie versuchen sich in ihre Heimatstadt zu retten, doch die Menschen jagen sie unerbittlich. Der Krieg ist noch lange nicht vorbei..

Ich bin Osten Ard Neuling und muss sagen, dass ich an dieses Buch mit einem wahnsinnigen Respekt heran getreten bin. In ein Epos einzusteigen, nachdem der Großteil der Handlung längst abgearbeitet ist kann gar nicht einfach werden. Und doch ebnet Williams den Weg auch für Neulinge sehr geschickt.
Er verrät nicht zu viel - wenn man sich in der Welt also wohl fühlt kann man die alten Bücher problemlos noch nachlesen ohne die Spannung missen zu müssen. Er verrät aber doch genug, um sich problemlos in der Welt zurecht finden zu können. Ich war regelrecht fasziniert davon, wie leicht es mir viel mich zwischen fremdartigen Nornen mit seltsamen Namen und einem Haufen Menschen mit unbekannter, aber wichtiger Vergangenheit zurecht zu finden. Williams springt durch verschiedene Erzählperspektiven, sodass man als Leser die Sichtweisen jeder Partei wenn schon nicht verstehen dann doch nachvollziehen kann. Trotzdem verliert er nie seinen roten Faden. Startschwierigkeiten? Absolut nicht.

Obwohl die Sympathieträger eigentlich recht ausgeglichen gestreut sind - auf beiden Seiten gibt es ein paar Fieslinge, ganz viele die man sehr neutral betrachtet und ein, zwei wirklich sympathische Figuren - entscheidet man sich als Leser vermutlich irgendwann für eine Partei. Mit irgendjemandem muss man doch hoffen.
Für mich waren das die Nornen, die wirklich ein unglaublich faszinierendes Volk sind. Parallelen zu Elfen und Elben gibt es zuhauf, und dennoch hatte ich das Gefühl ein völlig eigenständig Volk vor mir zu haben. Die Nornen sind spannend, haben eigene Werte und Hierarchien und eine geradezu unerschöpfliche magische Trickkiste die in diesem Band sicherlich noch nicht ihr gesamtes Potential entfaltet hat.

Williams Schreibtalent zeigte sich für mich in einer einzigen schlichten Tatsache : Tragische Ereignisse bewegen den Leser. Und das obwohl man (zumindest war es so bei mir) eigentlich nicht wirklich viel für die Person übrig hatte. Normalerweise ist das tragische an Protagonistentoden ja das, dass man eine liebgewonnene Figur verliert. Hier war das anders. Ich werde natürlich nicht verraten auf welche Figur ich mich beziehe, aber ich war tatsächlich überrascht davon, dass ihr Tod mich ergriffen hat. Zu Lebzeiten konnte ich mit dem Jammerlappen nämlich zugegebenermaßen nicht wirklich viel anfangen. Aber Williams verwebt seine Worte zu einem Netz, geschwängert aus Trauer, Sehnsucht und Verlust - da kann man als Leser fast nicht anders als ein leichtes Zwicken in der Herzgegend zu spüren.

Trotzdem merkt man dem Buch irgendwie an, dass es eben nur ein Zwischenband ist. Die alten Williams Bücher haben schon einige Jahre auf dem Buckel, eine Fortsetzung sollte es eigentlich nicht geben. "Das Herz der verlorenen Dinge" soll nur eine Brücke schlagen, und das merkt man. Ein bisschen mehr Handlung hätte es für den fünften Stern noch gebraucht.

Dennoch - ich bin angefixt. Und ich will mehr. Mehr von Osten Ard, mehr von den Nornen, mehr von den Geheimnissen die noch in den Tiefen des Berges schlummern. Bis die nächsten Bücher auf den Markt kommen werde ich mir wohl erstmal das alte Epos besorgen müssen.