Rezension

Es ist so ne Sache mit der Realität: was ist schon real?

Das Meer, Das Meer - Iris Murdoch

Das Meer, Das Meer
von Iris Murdoch

Bewertet mit 3.5 Sternen

1978: bygone times. Das preisgekrönte Buch von Iris Murdoch, von der ich voher gar nichts kannte, machte mir einiges Kopfzerbrechen. Wäre es kein preisgekröntes Buch gewesen - ehrlich, ich hätte es nicht bis zum Ende ausgehalten. Trotzdem gibt es das eine oder das andere Positive dazu zu vermerken. // Glücklicherweise sind die Sieger des Man Booker Prizes inzwischen viel, viel lesbarer geworden.

Mit „Das Meer, das Meer“ hat die in Irland geborene und in England lebende Philosophin und Schriftstellerin 1978 den Man Booker Preis gewonnen!

Dass Iris Murdoch (1919 bis 1999) Philosophie studierte und bei Ludwig Wittgenstein promovierte, ist hilfreich, um diesem Roman etwas abgewinnen zu können.

In dem Roman werden, gemäß einem Zitat daraus: „Selbst ein mittelmäßiger Romancier kann viel Wahres sagen“ philosophische Gedankensplitter an den Leser herangetragen.

Die eigentliche Handlung nämlich erscheint der Rezensentin so unspektakulär, dass man annehmen muss, die Aussagen über, zum Beispiel

• Religion und Aberglaube,
• über das Wesen der Ehe und der Liebe („Jede dauerhafte Ehe basiert auf Furcht“),
• über das Innenleben eines Menschen („Wir sind Geschöpfe mit einem geheimnissvollen Innenleben“),
• über das Sterben und den Tod und/oder die Unsterblichkeit

seien das Eigentliche des Romans.

Vordergründig geht es um den alternden Regisseur Charles Arrowby, der sich vom umtriebigen Theatergeschäft zurückgezogen hat und nun in einem Haus am Meer lebt, das ein wenig marode ist, ziemlich ungemütlich und unmodern. Von dort aus schreibt er Tagebuch, um sich selbst und den Menschen seines Lebens nachzuspüren und die Tiefe seiner Gefühle zu ihnen auszuloten.

Die Beschreibungen der Landschaft und des Meers sind spektakulär.

Doch Charles ist schrecklich langweilig. Dazu unerträglich von sich eingenommen. Voller unerklärlicher Eifersucht, Flachheit und irgendwie unecht. Auf seinen Vetter James war er von Anfang an eifersüchtig und hat nie erkannt, wie sehr dieser ihn liebte. Die Frauen, die er schlecht behandelte, beteten ihn an und tanzen auch allmählich an. So nach und nach tauchen alle möglichen Personen im Haus am Meer auf. Man weiß aber nicht so recht, weshalb Charles immer noch so einen großen Einfluss auf sie alle hat. Ein Verzauberer? Ein Magier? Dabei ist er so unerträglich!

In einem nahe gelegenen Dorf trifft Charles seine Jugendliebe Hartley wieder, die ihn damals als einzige der Frauen verschmähte. Er entführt sie und hält sie in seinem Haus gefangen.

Das ist allerdings auch nicht besonders interessant und hat nichts von einem Krimielement an sich, was Spannung auslösen könnte, sondern ähnelt mehr einer griechischen Tragödie, unter anderem auch deshalb, weil diese Frau keine eindeutigen Ansagen macht, sondern sich nur in Tränen und Hysterie auflöst. Die Thematik "Schuld" und "etwas schuldig geblieben zu sein" kommt auf. Ihr Ehemann geht später mit ihr nach Australien. Dann gibt es noch Mordanschläge und Ungeheuer. Die Ungeheuer kommen wohl aus den ungeläuterten Seelen?

Es ist schwer, Relevantes von Irrelevantem zu trennen oder Reales von Irrealem zu unterscheiden in diesem Buch. Sehr real ist die Landschaft, sie ist unbestechlich. Sehr real ist auch Essen und Trinken, es hält schließlich Leib und Seele zusammen: akribisch werden die einfachen, aber schmackhaften Mahlzeiten, die Charles sich zubereitet, beschrieben. Vielleicht ist dies das einzige, an das man sich halten kann in einer nicht sehr verlässlichen Welt.

Kann man nun diese seltsame Mischung aus Irrsinn, Philosophie und Erfindung mögen? Es gibt zahlreiche Wahrheiten, gute Sätze, Reflexionen, denen man nachhängen kann, es gibt aber auch unendliche Längen und Logik sucht man vergebens. Charles und mit ihm dem Leser gelingt es jedenfalls nie richtig, Einbildung und Realität von einander zu unterscheiden und am Ende versucht Charles es auch gar nicht mehr. Er nimmt hin, was ist und hinterfragt nicht mehr. Der Leser hat schon lange vorher aufgegeben, einen Sinn erfassen zu wollen.

Fazit: Real ist die Natur und die Befriedigung der Grundbedürfnisse. Alles andere ist verhandelbar.

Ein Roman, der vielleicht nicht mehr so richtig in die Zeit paßt? Oder gerade?

Kategorie: Belletristik, Man Bookerpreis 1978
Verlag: Piper 2017

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 12. Februar 2018 um 14:39

Muss man also wohl nicht lesen. - Hoffentlich bewegen sich nicht zu viele philosophische Einsichten auf dem Niveau „Wir sind Geschöpfe mit einem geheimnisvollen Innenleben“! Für solch eine Erkenntnis muss man traun fürwahr keine Philosophin sein!

wandagreen kommentierte am 12. Februar 2018 um 17:31

Haha, das stimmt schon. Allerdings haben sich die Leute alle merkwürdig verhalten und warum, frag mich nicht. Die meiste Zeit haben sie geredet. Über sich, über andere (immer schlecht) und über nichts. Ich glaube ja, es ist eh schwer, sich als Frau in einen Mann einzufühlen und m.E. ist das nicht gelungen. Nie glaube ich, dass ein Mann (!) sich so viele Gedanken macht. Lachhaft. Das können die doch gar nicht ;-)).

Steve Kaminski kommentierte am 12. Februar 2018 um 21:02

@Wändy: Vielleicht guckst Du mal in eine Philosophiegeschichte?!!!!!!?

wandagreen witzelte am 12. Februar 2018 um 23:51

Ja, die, die gleich einen Beruf aus (bloßem) Denken machen! (Müssen sich immer gleich so aufspulen).

Emswashed argumentierte am 12. Februar 2018 um 15:01

Ein "Haus mit Meerblick" ist doch wohl ein sehr starkes Argument: - warum ihn seine Exfrauen besuchen, -warum der Leser bei der Stange bleibt und - warum man anfängt, ein Buch darüber zu schreiben! ;-)

 

wandagreen kommentierte am 12. Februar 2018 um 17:32

Hab ich gesagt, dass es Februar war, und dass das Haus keine Heizung hatte? Jedenfalls keine Zentralheizung. Man konnte mit Holz heizen. Wenn man konnte, meist konnte Charles nicht. Das Holz war oft feucht. Er war eh ein Trottel ...

LySch kommentierte am 12. Februar 2018 um 23:47

Puhhh. Das klingt anstrengend. Sehr anstrengend.

Absolut nix für mich, aber deine Rezi habe ich sehr gerne gelesen! :) Die ist echt amüsant ^^