Rezension

Es macht nachdenklich...

Das rote Adressbuch - Sofia Lundberg

Das rote Adressbuch
von Sofia Lundberg

Bewertet mit 5 Sternen

Das Leben von Doris - bewegt und bewegend...

Sofia Lundberg hat mit ihrem Debütroman „Das rote Adressbuch“ ihrer Großmutter ein literarisches Denkmal gesetzt. Sie hatte in ihrer Kindheit viel Zeit mit ihr verbracht und die Autorin war umso bestürzter, als sie feststellte, wie einsam ihre Großmutter am Ende ihres Lebens gewesen sein musste.

Und wirklich: die Romanfigur Doris lebt mit ihren 96 Jahren allein in Stockholm. Verwandte, Freunde und Bekannte sind verstorben, ihren Tod vermerkt sie in ihrem Adressbuch lapidar mit „TOT“. Ihre einzige Verwandte, Jenny, lebt mit ihrer Familie in San Francisco. Doris Alltag besteht aus Besuchen eines ambulanten Pflegedienstes und den wöchentlichen Skype-Telefonaten mit Jenny. Außerdem schreibt sie mit einem Computer (meine Anerkennung!) anhand ihres roten Adressbuches (ein Geschenk ihres Vaters zu ihrem 10. Geburtstag im Jahr 1928) ihre Lebensgeschichte für Jenny auf, später dann auch Erinnerungen an Jennys erste Lebensjahre.

Anhand dieser Aufzeichnungen nehmen wir als Leser teil am bewegten Leben von Doris. Ein zweiter Handlungsstrang ist der „reale“ Alltag der 96-jährigen: ihre Einsamkeit, ihre altersentsprechenden Schmerzen und „Gebrechen“, Abhängigkeit von ambulanten (überforderten) Diensten mit seinen häufig wechselnden Pflegekräften. Später stürzt dann Doris in ihrer Wohnung, wird in ein Krankenhaus eingeliefert, muss operiert werden. Fixpunkt sind weiterhin die Telefonate mit Jenny. Soviel zum Inhalt, mehr möchte ich hier nicht verraten...

Das Buch stimmt in zweifacher Hinsicht sehr nachdenklich: Doris ist 1918 geboren und hat in ihrem Leben viele Schicksalsschläge hinnehmen müssen (daran nehmen wir Anteil), zweitens wurde mir deutlich, wie vereinsamt und „fremdbestimmt“ ältere Menschen in unserer Gesellschaft heute sein können: „Es ist schwer, alt und krank in seinem Bett zu liegen und nicht entscheiden zu dürfen, wann man ausgeruht, müde oder etwas dazwischen ist, und was man dafür oder dagegen tun möchte.“ (S.162) oder aber: „Sie können hier nicht länger liegen bleiben, Doris. Und sie können nicht nach Hause fahren. Deshalb müssen wir Sie in einem Pflegeheim unterbringen.“ (S.148)

Einige Lebensentscheidungen konnte ich nicht wirklich nachvollziehen, aber vielleicht ist sie ein „Kind ihrer Zeit“? Auch meine Mutter und meine Tante haben sich entschieden und vehement geweigert, ihre Wohnungen zu verlassen und in ein altersgerechtes Wohnen zu ziehen...  Deshalb habe ich mich – letztendlich auch angeregt durch das Buch – entschlossen, dieses Thema möglichst frühzeitig SELBST zu entscheiden und die notwendigen Vorkehrungen zu treffen!

Sofia Lundberg hat einen flüssigen, lebendigen und gut lesbaren Schreibstil. Bei der Kapiteleinteilung wusste ich immer sofort, ob der nächste Abschnitt zur Lebensgeschichte oder zum heutigen „realen“ Leben gehört.

Ich möchte aber an dieser Stelle nicht verschweigen, dass mich der Schluss etwas zwiegespalten zurückgelassen hat – aber vielleicht wollte die Autorin genau das bewirken? Ich habe mich aber trotz dieser klitzekleinen Bedenken entschlossen, die volle Punktzahl zu vergeben – eine klare Leseempfehlung gibt es sowieso!