Rezension

Es regnete Vögel

Ein Leben mehr - Jocelyne Saucier

Ein Leben mehr
von Jocelyne Saucier

Bewertet mit 4.5 Sternen

Sie sind zusammen beinahe 300 Jahre alt und leben abseits der Zivilisation in den Wäldern Kanadas. Ted, Charlie und Tom wollen ihr Leben und auch ihren Tod selbst bestimmen und so wählen sie ein stilles, einfaches und naturverbundenes Dasein, jeder für sich in einer spartanischen Hütte. Nur ein treuer Hund leistet jedem von ihnen Gesellschaft. Das, was ihnen die Natur nicht bietet, bringen ihnen Bruno und Steve, zwei Männer, die ihr Geheimnis wahren, in unregelmäßigen Abständen vorbei. Die drei Alten wissen, dass der Tod stets gegenwärtig ist, doch sie wollen ihm auf ihre Weise entgegentreten und so treffen sie einen Todespakt. Eine unscheinbare Dose Strychnin dient als letzte Option, ein Schild, der vorm Dahinvegetieren oder zur Lastfallen schützen wird.

„Man ist frei, wenn man sich aussuchen kann, wie man lebt. Und wie man stirbt.“
„Wenn man die Freiheit hat, zu gehen, wann man will, entscheidet man sich leichter für das Leben.“

Doch dann taucht eines Tages unverhofft die namenlose Fotografin auf. Sie ist auf der Suche nach Ted, der ein Überlebender des großen Brandes von 1916 ist. Ihre Recherchen führten sie über Umwege zu ihm, doch sie kommt zu spät, denn Ted ist gestorben - im Schlaf, an Altersschwäche. Als dann auch noch Bruno in einem Anflug von Mitleid und Barmherzigkeit seine Tante Gertrude, die fast ihr ganzes Leben in Anstalten verbringen musste, in die Wälder bringt, ist es vorbei mit dem gewohnten, stillen Leben der Männer. Die Frauen bleiben, die eine dauerhaft und die andere, weil sie ihren Namen findet und weil sie Geschichten liebt.

„Ich liebe Geschichten, ich ich liebe es, wenn man mir ein Leben von Anfang an erzählt, mit allen Umwegen und Schicksalsschlägen, die dazu geführt haben, dass ein Mensch sechzig oder achtzig Jahre später vor mir steht, mit einem ganz bestimmten Blick, ganz bestimmten Händen und einer ganz bestimmten Art zu sagen, dass das Leben gut oder schlecht gewesen ist.“

Ein zartes Band der Freundschaft und Verbundenheit entwickelt sich zwischen ihnen allen und so geschieht etwas, das keiner für möglich gehalten hätte: Ihnen wird ein Leben mehr zuteil. Und so ist jedes Ende auch ein Anfang.
 
Die kanadische Schriftstellerin Jocelyne Saucier trifft mit diesem leisen Roman genau den richtigen Ton ohne in den Kitsch abzudriften. Einfühlsam und bewegend erzählt sie diese vielschichtige Geschichte, die schwermütig ist und gleichermaßen so voller Hoffnung. Die einzelnen Schicksale, nicht selten tragisch, verwebt sie meisterhaft. Und trotz aller Melancholie und dem allgegenwärtigen Tod findet man in diesem Roman auch Humor, Freude, Glück, Hoffnung, Menschlichkeit - und ja auch Liebe.

Fazit

„Wenn die Strömung dein Boot abtreibt, musst du eben anders rudern.“ Dieser kluge und feinfühlige Roman zeigt, dass es niemals zu spät ist - nicht für Veränderungen und auch nicht für die Liebe. Leise Worte, die laut nachhallen. Lesenswert.