Rezension

Es wird persönlich

Hotel Cartagena - Simone Buchholz

Hotel Cartagena
von Simone Buchholz

Ein Mann, der vor Jahrzehnten Hamburg den Rücken kehrte Richtung Südamerika ist zurück in der Elbmetropole. Henning Garbarek hat eine Rechnung offen, deren Begleichung ihm sehr wichtig ist. Staatsanwältin Chastity Riley ist eingeladen auf einen 65. Geburtstag, zu dem sie tatsächlich hingeht, da der Jubilar ihr sehr wichtig ist, obwohl sie das so vielleicht gar nicht zugeben würde. Auch wenn sie dort auf einige Personen treffen wird, die ihr so nahestanden, nahestehen oder nahestehen wollen, dass es eigentlich keine gute Idee ist, diese Mischung gemeinsam in einen Raum zu packen. Eine ganze Menge explosive persönliche Motive und Emotionen prallen dann plötzlich an einem einzigen Abend aufeinander und rufen eine Ausnahmesituation in einer Hotelbar hervor, die allen Beteiligten im wirklichen und übertragenen Sinn unter die Haut geht und verursachen, dass man sich an diesem Abend mit alten und neuen Wunden beschäftigen muss – und vor allem auch damit, wie die Situation möglichst verlustfrei gelöst werden kann. Es beginnt eine Analyse der Beteiligten und Konstellationen vor dem Hintergrund ihrer individuellen und gemeinsamen Geschichte, die einen Roman erschafft, der zwar kein klassischer Whodunnit-Kriminalroman ist – aber an Spannung nichts vermissen lässt und vor allem sprachlich ein ganz besonderes Vergnügen sein kann, wenn man sich auf den Stil der Autorin einstellen kann.

Denn diese ganze Geschichte erlebt der Leser so unmittelbar durch die Augen von Staatsanwältin Chastity Riley, Hennig Garbarek und Ermittler Ivo Stepanovic, wie zumindest ich es noch nie in einem Buch gelesen habe. Das Buch besteht aus quasi aus ihren Gedankengängen, Erinnerungen, Wahrnehmungen, ungefiltert. Nicht immer in der Ich-Form, aber in absolut konsequenter Perspektive. Dadurch entsteht eine ganz besondere Sprache, denn man denkt nicht in grammatikalisch ausgefeilten Sätzen und Nebensätzen, mit Bindewörtern, Füllwörtern, Beschönigungen, sondern unmittelbar – und so ist der Tin in diesem Buch. Das ist (vielleicht) gewöhnungsbedürftig, aber ich fand es unfassbar spannend, über die Handlung hinaus. Dazu kommt, dass Simone Buchholz einfach zwischendurch großartige Sätze schreibt, wie z.B.  „Henning stand am Hafen, gerade war ihm die Nacht zerbrochen“ (S. 27), eine fast lyrisch anmutende Karussellfahrt einbaut (ab S. 165) oder Einfälle hat, die ich beim Lesen gefeiert habe, wie die grandiose Fußball-Referenz auf den Seiten 143/144 als es um die Herren Stepanovic, Magath und Meier geht – ich frage mich glatt, ob es Anspielungen im Buch gibt, die ich einfach überlesen habe, weil sie mir nichts sagen und andere Leser ganz anderes entdeckt haben. Das ist Schreibkunst, das ist intelligenter Humor, das gefällt mir außerordentlich gut. Da dies nicht das erste Buch der Autorin mit diesen Protagonisten ist, fehlte mir schon ein wenig der Background – kein Erzähler bringt uns die Hintergründe nahe, Vergangenes wird eben auch nur in Form der „Denke“ von Riley und Stepanovic angerissen – machte für mich aber keinen negativen Aspekt aus – nur neugierig auf die anderen Bände der Reihe, von denen ich nicht einmal weiß, ob sie im gleichen Tonfall verfasst sind, oder ob die Ausnahmesituation in Hotel Cartagena auch einen Ausnahmestil hervorgerufen hat. Erfrischend anders!