Rezension

Es wird unmöglich sein, diesen Roman nicht zu mögen.

Ich bleibe hier
von Marco Balzano

Bewertet mit 5 Sternen

Kurzmeinung: Historisch-fiktiver Roman. Stimmig auf allen Ebenen. Wieder einmal das große Kino.

Die Orte Graun und Reschen in Südtirol haben eine wechselvolle Geschichte. Sie waren nicht immer schon touristisch erschlossen wie heute, sondern ursprünglich fruchtbares Bauernland, Land in dem feste Traditionen und Gebräuche sich jahrhundertelange gehalten hatten und die ansässigen Menschen sich seit Generationen und Generationen kannten und mit viel Mühe und einer gewissen Bescheidenheit dem Land ihren Unterhalt abrangen. Man hatte nicht viel, nur, was man brauchte, aber man hatte, was man brauchte. 

 

Doch dann wird ein Staudamm gebaut und alles, was den Menschen lieb und teuer war, ist überschwemmt. Davon handelt der Roman, den Marco Balzano sehr sorgfältig komponiert hat und für den er auch akribisch recherchiert hat. Noch heute sieht man den Kirchturm des Dorfkirchleins aus dem Wasser ragen! 

 

Der geschichtliche Hintergrund: Als Mussolini an die Macht kommt und der Faschismus seinen Herrschaftszug durch Italien antritt, wird Südtirol von den Italienern in Anspruch und Beschlag genommen. Die beiden Sprachen, deutsch und italienisch, beide auf ihre Weise wunderschön, sind plötzlich zu Waffen geworden. Der deutschen Bevölkerung wird untersagt, ihre Sprache zu benutzen, öffentliche Bekanntmachungen werden nur noch in italienisch verlautbart und damit am deutschen Bevölkerungsteil vorbei und es ist verboten, auf deutsch zu unterrichten. 

 

Doch drei Bauernmädchen hatten einst Größeres im Sinn, studierten auf Lehramt und waren gerade mit ihrer Ausbildung fertig geworden als die Historie sie aus dem Sattel wirft. Sie bekommen keine Anstellung. Was tun? Jedes der Mädchen entscheidet sich anders. Trina, inzwischen mit Erich, einem der Landwirtschaft und der Viehzucht verschriebenen Bauern verheiratet, entscheidet sich dafür, in den Untergrund zu gehen. 

 

Fast gleichzeitig zur Verschärfung der politischen und gesellschaftlichen Lage in Südtirol, verursacht durch die Weltpolitik, bedroht das ehrgeizige Projekt des Staudammbaus die Existenz der beiden Orte. Schon oft hat die italienische Regierung dazu angesetzt, es zu verwirklichen, aber nie ist es zur Ausführung gelangt. Deshalb wiegt man sich auch diesmal in Sicherheit als eine Armada von Arbeitern anrückt. Doch diese Sicherheit ist trügerisch. 

 

Balzano ist es gelungen auf recht wenigen Seiten sogar, einen intensiven historisch-fiktiven Roman hinzusetzen, der auf allen Ebenen mitnimmt und auf jeder Ebene stimmt, sowohl auf der individuellen, der sprachlichen wie der historischen. 

 

Die Lehrerin Trina ist Erzählerin und Trägerin einer Familientragödie. Alles Geschehen wird stets vor dem sehr begrenzten lokalen Hintergrund geschildert. Wir als Leser bleiben bei Trina und ihrem Leben und gleichzeitig erleben wir Mussolini, Hitler und die Nachkriegszeit. Liebe, Schicksal, Trauer, Widerstand, Fatalismus. Mehr geht eigentlich nicht. 

 

Fazit: Was Balzano mit seinem kleinen Romanlein liefert ist wieder einmal das ganz große Kino. Hoffentlich wird das Buch bald verfilmt. 

 

Kategorie: Historischer Roman
Verlag: Diogenes, 2020