Rezension

Etwas zu unaufgeregt

Der Wald - Nell Leyshon

Der Wald
von Nell Leyshon

Bewertet mit 3 Sternen

Nachdem mich das kleine feine Buch „Die Farbe von Milch“ begeistert hatte, habe ich mich sehr auf den neuesten Roman von Nell Leyshon gefreut. Und auch die Kurzbeschreibung zu „Der Wald“ klang sehr interessant. Leider hält sich meine Begeisterung in Grenzen.

Der Roman besteht aus drei Teilen, die sich jeweils um Zofia und ihren etwa sechsjährigen Sohn Pawel drehen. Im ersten Teil leben beide mit Zofias Mutter, Schwester und Ehemann in einer besetzten polnischen Stadt, die schon schwer unter dem Krieg leiden musste. Lebensmittel und Brennholz sind knapp. Zofias Mann engagiert sich im Widerstand und der verträumte Pawel wird von diversen Ängsten geplagt: Vor den Detonationen, vor den Soldaten, vor Hunden, vor der Nacht, ja sogar vor Vögeln. Aber Angst, Tränen und Anhänglichkeit werden dem Kind nicht zugestanden. Es soll ja sein Mann werden!

Im zweiten Teil verstecken sich Zofia und Pawel in einer Scheune irgendwo im Wald. Isoliert und in größter Sorge um den Rest ihrer Familie zieht sich Zofia immer mehr in sich selbst zurück und vergisst darüber ihren Sohn und seine Bedürfnisse. Zwar schafft es Leyshon hier ein paar stimmungsvolle Bilder zu erzeugen, es gibt hier aber auch die meisten Längen und Zofia empfand ich als besonders anstrengend.

Zofia ist keine pragmatische Frau, auch wenn sie hin und wieder versucht es zu sein - allerdings nie ohne sich gleichzeitig darüber zu beschweren. Viel zu oft ist sie in Grübeleien über ihr vergangenes Leben im relativen Luxus oder allerlei anderen Nonsens versunken. Viel zu ungeduldig ist sie mit ihrem kleinen, verängstigten Sohn. Mitleid konnte ich da schwerlich aufbringen. Es war zwar schön, dass sie ihre Fehler später einsieht; für mich als Leser war es aber etwas frustrierend, dass sich die komplette Entwicklung ihres Charakters in einem Zeitraum abspielt, der dem Leser verborgen bleibt, weil es einen größeren Zeitsprung gibt. Dabei wäre gerade ihre Entwicklung interessant gewesen!

Der dritte Teil spielt einige Jahre nach dem Krieg und hat für mich tatsächlich nochmal einiges gerettet. Pawel als erwachsenen Mann fand ich gelungen beschrieben und die Beziehung zwischen ihm und seiner Mutter war interessant und realistisch geschildert. Vergangenheit, Familie und Akzeptanz standen hier im Mittelpunkt. Das hätte gerne eher kommen dürfen.

Die Geschichte ist insgesamt sehr unaufgeregt erzählt. Es geht viel um die Gedankenwelten der Figuren und um Alltäglichkeiten, wie das immergleiche Essen aus Kohl und Kartoffeln oder das immergleiche Bilderbuch, in dem sich Pawel verliert. Das Sorgt für einige Längen, was sich aber im dritten Teil etwas legt.

Leyshon zeichnet hier und da durchaus schöne Bilder und hatte auch eine gute Grundidee für ihren Roman, aber die Umsetzung konnte mich nicht überzeugen. Unnötige Wiederholungen und vor allem die streng chronologische Erzählweise sorgen für Langeweile. Hauptfigur Zofia ging mir hauptsächlich auf die Nerven. Leyshon hat es leider nicht geschafft, die Kraft und Emotion zu erzeugen, die „Die Farbe von Milch“ hatte.