Rezension

Facettenreiche Familien-Biographie ...

Im Sommer wieder Fahrrad
von Lea Streisand

Bewertet mit 5 Sternen

Fesselnd geschriebener, autobiographischer Roman mit traurigen, lustigen und spannenden Elementen und einer Zeitreise durchs Berlin der letzten 100 Jahre ...

Autorin:
Lea Streisand, Jahrgang 1979, ist Ur-Berlinerin. Sie studierte Neuere Deutsche Literatur und Skandinavistik an der Humboldt-Universität in Berlin. Bereits seit 2003 ist sie nicht nur auf den Berliner Lesebühnen zu Hause, sondern auch gern gesehener Gast auf Lesebühnen und Poetry Slams in Österreich und der Schweiz. Ihre heiteren Stories über Menschen und Berlin im Speziellen hat sie bereits auf mehreren Hörbüchern vertont. In Textform sind diese Erzählungen in den Büchern „Berlin ist eine Dorfkneipe“ (2012) und „War schön jewesen“ (2016) erschienen. Sie hat eine monatliche Kolumne in der Tageszeitung „taz“ sowie eine wöchentliche Hörfunk-Kolumne auf Radio Eins des RBB. „Im Sommer wieder Fahrrad“ ist ihr erster, zudem autobiographischer Roman.

Handlung:
Lea, gerade mal 30, steht mitten im Leben, ist Queen der Berliner Erzählbühnen und befindet sich kurz vor Abschluss ihres Magisters, als die lebensbedrohliche Diagnose Lymphdrüsenkrebs sie plötzlich ausbremst. Während für ihre Freunde das Leben mit neuen Jobs, Familiengründung und Wohneigentum weiter geht, dreht sich Leas Leben ein Jahr lang um Chemotherapie und Todesangst. Um sich davon abzulenken, beschließt sie, endlich das Versprechen einzulösen, dass sie einst der hochbetagten Großmutter – der Schauspielerin Ellis Heiden – gab und deren Lebensgeschichte niederzuschreiben. Sie widmet sich dem alten Koffer, den sie einst aus dem Abstellraum ihrer Oma geerbt hat und der prall gefüllt ist mit Erinnerungen und überraschenden Geschichten aus deren Leben.

Fazit:
Als ich davon hörte, dass Lea Streisand Ende 2016 bei Ullstein neben dem Kurzgeschichten-Band „War schön jewesen“ auch diesen autobiographischen Roman veröffentlicht, war für mich von vornherein klar, dass ich den natürlich auch lesen muss, auch wenn mir Lea bisher natürlich in erster Linie durch ihre lustigen Kolumnen und Erzählungen ein Begriff war.
Das Cover hat einen ansprechenden türkisen Farbton, Textil-Optik mit Stickerei (wie Notizbücher früher mal) und ein Porträt-Foto von Leas Oma festgehalten mit einem der im Buch oft erwähnten „Schnipsgummis“. Die Umschlaggestaltung ist sehr ansprechend und ein wenig an die Zeit, in der Leas Oma lebte, angepasst.
Das Schriftbild ist angenehm großzügig. Die 270 Seiten umfassen Prolog, 24 Kapitel von sehr angenehmer Leselänge, Epilog und Quellennachweis.
Dies war ein Buch, dass mich vom 1. Kapitel an gefesselt hat, obwohl ich zunächst ein wenig skeptisch war, ob es nicht vielleicht für meinen Bedarf zu viele tragische Elemente, wie Leas Krebserkrankung und das Leben ihrer Oma mit Weltkriegen und deutscher Teilung enthalten könnte. Trotz dieser tragischen Fakten, ist es Lea Streisand bestens gelungen, die Leser für die Dauer des Buches herzlich mit in ihre Familie, in ihr Leben aufzunehmen und daran teilhaben zu lassen. Sie beweist, dass man trotz Todesangst auch Ironie und Galgenhumor nicht verlieren sollte und macht damit sicher auch anderen, selbst von Krebs Betroffenen Mut.
Parallel zu ihrem eigenen Schicksal nimmt sie ihre Leser mit auf Zeitreise in das Leben ihrer mutigen und unkonventionellen Oma, der Schauspielerin Ellis Heiden, Jahrgang 1912, in den 30er und 40er Jahren als Schauspielerin tätig. Man erfährt viel über das Leben in Berlin damals und die Theaterszene in dieser Zeit, über den 2. Weltkrieg, die deutsche Teilung und die Rolle der Frau und Alleinerziehenden in diesen Zeiten.
Ich hatte vor der Lektüre dieses Buches einige Rezensionen gelesen, in denen bemäkelt wurde, dass dem Buch der klassische Plot mit Protagonist und Antagonist, Spannungsbogen und das Heldenprinzip fehlt. Ehrlich gesagt, kann ich diese Kritikpunkte und die Erwartungshaltung dieser Rezensenten nicht so ganz nachvollziehen, da es sieht bei diesem Buch weder um einen Unterhaltungs- noch einem Kriminalroman handelt, sondern ganz klar, wie auch der Klappentext vermuten lassen muss, um einen autobiographischen Roman zweier Lebensgeschichten innerhalb einer Familie. Und Heldinnen hat dieser Roman ja nun wirklich gleich zwei: Die sympathische Lea, die ihre Krebserkrankung überwunden hat und ihre mutige, unkonventionelle Oma, die in ihrem langen Leben so viele „Eisberge umschifft“ hat.
Für mein Empfinden war dies ein ganz großartiges Buch, das ich trotz der traurigen Momente darin für meine Verhältnisse wirklich aufgesogen habe. Von mir gibt hierfür glatte 5***** Sterne!