Rezension

Fängt gut an, bleibt aber zu lückenhaft

Dark Noise - Margit Ruile

Dark Noise
von Margit Ruile

Bewertet mit 3 Sternen

Ich beginne mal mit dem Positiven: Margrit Ruile hat für ihren All-Age-Thriller „Dark Noise“ ein Thema gewählt, das aktuell ist, wie kaum ein anderes. Es geht um die Manipulation der Öffentlichkeit. Die Autorin konzentriert sich auf zwei Bereiche. Einmal die großflächige Überwachung durch Kameras und zum anderen deren möglichen Missbrauch. Sie stellt die Frage: Was passiert, wenn Menschen digital einfach ausgelöscht oder ausgetauscht werden könnten? Wenn Überwachungsbilder bewusst manipuliert werden könnten? Wer Zugriff auf diese Technik hätte, könnte die Wirklichkeit nach eigenem Gutdünken gestalten. Und dass dies reizvoll ist, beweist ein Blick in die Tageszeitung. Ich sage mal: ALTERNATIVE FAKTEN!
Dabei mischt Margrit Ruile reale Möglichkeiten (neuronales Netzwerk) mit Fantasie (absolute Unüberprüfbarkeit von Manipulation). Aber das Weiterdenken macht natürlich diese Art Technikdystopien aus und da kann die Realität schnell die Fiktion überholen. Zunehmend müssen Bilder im Internet bereits jetzt von Fachleuten auf ihre Richtigkeit geprüft werden. Unzählige Fotos sind gekonnt gefälscht. Gerade angesichts der rasanten Verbreitung über soziale Netzwerke entsteht da schnell eine Schieflage der Realität. Hier wird, nicht erst seit gestern, aber in wachsendem Umfang an einer der letzten großen Sicherheiten gerüttelt: Glaube nur, was du siehst! Das gilt nämlich nicht mehr.

Aber zum Buch. Obwohl mich das Thema begeistern und während des Lesens viel zum Nachdenken anregen konnte, war es ein eher durchwachsenes Lesevergnügen. Angekündigt war ein Technikthriller. Doch die Handlung gleitet immer wieder ab in ein Stück urbaner und medialer Entfremdung, bildhaft und metapherreich, etwas schwermütig, träumerisch. Gut geschrieben, aber in der Kombination weder für den Schwerpunkt noch die Spannungskurve ganz optimal und leider einfach nicht ganz meinen Geschmack treffend.
Zwischen fesselnde Szenen schieben sich die etwas surrealen Ansprachen der beiden Protagonisten Zafer und Emily, die rückblickend ihre Geschichte erzählen. Im Fokus steht der begabte, freiberufliche Bildretuscheur Zafer, den wir anfangs begleiten dürfen, während er am Computer Sequenzen einer Soap bearbeitet, aus denen er die Namen von Werbeprodukten tilgt. Sein Job ist eintönig und wenig anspruchsvoll. Zafer vertreibt sich die Langeweile, indem er ganz unauffällig kleine Monster, wie er sie nennt, in die Szenen einbaut - Gimmicks wie Gurken mit Augen, krabbelnde Insekten. Daraus macht er sich einen kleinen Spaß. Zafer vermittelt dem Leser ein Gefühl von Einsamkeit und Realitätsverlust. Die wirkliche Welt scheint ihm Angst zu machen, während er in seiner Arbeit völlig versinken kann. Ein Teufelskreis.
Zafer erhält plötzlich anonym einige seltsame Aufträge. Er soll Videos von Überwachungskameras verändern. Damit steckt Zafer aber bereits mitten in einem echten Mordfall, der vertuscht werden soll.

Um zu erklären, warum sich Zafer in diese recht eindeutig kriminellen Machenschaften hineinziehen lässt, ist es gar nicht einmal unschlüssig Zafer in seiner wirklichkeitsfremden medialen Blase zu zeigen. Leider versetzen die fast schon lyrischen Betrachungen Zafers zu seiner eigenen Situation die Handlung ab und zu in eine Art Schwebezustand, die das Geschehen festgefroren wirken lässt. Zafer, der in der Retrospektive erzählt, zoomt an die Ereignisse heran und wieder weg. Das ist eindrucksvoll beschrieben, aber lenkt auch ab.

Das Gefühl der Surrealität wird noch bestärkt durch einige beachtliche Zufälle, die die Protagonisten im Laufe der Geschichte zusammenführen (oder nicht zusammenführen, Stichwort Serviette). Personen, die sich nicht kennen, aber miteinander in Verbindung stehen, laufen sich mit traumwandlerischer Sicherheit mehrfach über den Weg.
Die Geschichte wirkt insgesamt ausschnitt- und lückenhaft, was nicht nur daran liegt, dass die Ereignisse immer wieder hinter Zafers und später Emilys Gedanken zurücktreten, sondern auch daran, dass die Gegenseite in Person quasi nicht vorkommt. Ab und zu taucht ein Bote auf, ein paar Schlägertypen, gegen Ende dann ein Funktionär. Größtenteils aber gab es da nichts, was wirklich greifbar war, außer Schattengestalten, die sich aus dem Dunkel lösen.

Immer wieder machen die Bösewichte extrem dumme Fehler. Für eine Verschwörung dieser Größenordnung ist das nicht glaubwürdig. Da wird die superwichtige Software halbherzig mit einem Passwort geschützt, das nie ausgewechselt wird. Da werden entscheidende Dateien nicht konsequent gelöscht, sodass der Zugriff auf wichtige Beweisstücke netterweise ganz leicht ist. Für ein einfaches Jugendbuch geht das in Ordnung. Für einen All-Age-Thriller war mir das zu wenig.

So richtig gepackt, hat es mich nicht. Das Buch hat einige starke Szenen, bringt diese aber nicht konsequent als Thriller zusammen. Manches kam mir bekannt vor und wurde noch dazu etwas oberflächlich präsentiert. Das matrixhafte Ende war da nur das I-Tüpfelchen.

Fazit: Auch wenn „Dark Noise“ letzten Endes nicht ganz meinen Geschmack getroffen hat, so ist es doch ein gut geschriebenes, interessantes – aber leider manchmal abschweifendes - Buch zu einem enorm wichtigen Thema. Wer nicht allzu hohe Ansprüche an Komplexität hat und auf der Suche nach einem unterhaltsamen, progressiven Jugendthriller ist, sollte vielleicht einfach mal reinlesen!