Rezension

Fängt langsam an, fesselt dann

Vier.Zwei.Eins. - Erin Kelly

Vier.Zwei.Eins.
von Erin Kelly

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ich überlege gerade, wann ich zuletzt einen wirklich guten Thriller gelesen habe. Momentan bin ich echt faul, das das Thriller-Lesen angeht, deswegen ist der letzte auch schon so lange her und auch, wenn "Girl on the Train" nicht schlecht war, hat er mich nicht ganz so gepackt. Anders als "Vier. Zwei. Eins.", das mich wirklich positiv überraschen konnte.

Anfangs war ich in der Hinsicht noch skeptisch. Die Geschichte startet relativ langsam, fast schon etwas langatmig, was wahrscheinlich an den doch recht vielen Beschreibungen liegt. Das ist in Thrillern ja oft so, das Verbrechen, die Lügen, whatever, müssen sich erst einmal entfalten. Doch trotz dass mir das bewusst war, brauchte ich meine Zeit für den ersten Abschnitt und einen Teil des zweiten noch dazu... Doch dann entwickelt das Buch eine richtige Sogwirkung. Es ist wie ein Strudel an Ereignissen und der dadurch geschaffenen Spannung, in den man gezogen wird und der einen dazu verleitet, weiter zu lesen und noch weiter zu lesen. Und dann gibt es einen Knall, der mich schon hat schlucken lassen. Als sich am Ende die Ereignisse überschlagen, war das unglaublich, alles passierte quasi auf einmal und ich wollte die Charaktere anschreien, sie schütteln, dazu bewegen, sich anders zu verhalten.

Dass so ein Fokus auf das Thema Sonnenfinsternis gelegt wird, ist auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig. Wer sich dafür wirklich null interessiert, könnte von den Passagen darüber genervt sein, ich fand es eigentlich ganz interessant. Besonders die Schilderungen, wenn eine Sonnenfinsternis erlebt wird, haben mir ein gutes Bild davon vermittelt und das ist ja irgendwie cool – ein Buch zu lesen und dabei etwas zu lernen, auch wenn es dir eigentlich vorrangig um das Lesen beziehungsweise die Unterhaltung geht.

Auch was den Überraschungseffekt angeht, hat mir die Geschichte wirklich gefallen. Wie zu erwarten ist zu Beginn alles noch ein bisschen unklar. Der Leser wird bewusst im Dunkeln über so manches gelassen und das heizte meine Spekulationen erst so richtig an. Wem ich glauben konnte / sollte, war mir nicht klar, ich habe alles hinterfragt – und bin erst mal trotzdem nicht zu den richtigen Schlüssen gekommen. Erst kurz bevor die Geschichte etwas offengelegt hat (wirklich nur ein paar Seiten davor) hatte ich einen seltsamen Moment plötzlicher Klarheit, in der ich eine Ahnung bekam, was geschehen war und wie alles zusammenhing. Das Ausmaß habe ich in dem Moment zwar nicht erraten, aber den Ansatz dazu. Der Boom, der überraschende Twist hat bei mir also nicht gefehlt und ich als jemand, der es liebt, wenn all meine Auffassungen durch einen Fakt durcheinander geworfen werden, kam hier voll auf meine Kosten :D

Auch das Ende hat mir eigentlich ganz gut gefallen. Für das Genre finde ich es doch ziemlich abgeschlossen und glimpflich, aber an sich hat es mich gefreut, wie die Ereignisse ein Ende gefunden haben.

Zum Schreibstil habe ich ja bereits ein klitzekleines Bisschen gesagt und möchte hier nochmal sagen: Er ist wirklich gut. In das erste Drittel (oder so ungefähr ein Drittel) baut die Autorin noch ziemlich viele genaue Schilderungen ein. Ich als kein großer Fan langer Beschreibungen fand das nicht ganz so gut und habe dafür schon ein wenig länger gebraucht zum Lesen, aber das war eigentlich auch das einzig Negative zu Erin Kellys Stil. Ansonsten hat sie es nämlich geschafft, dass ich mit ihren Charakteren mitgefiebert habe. Teilweise war ich richtig angespannt, habe mich erschrocken und am Ende...am Ende hatte ich Angst um die Charaktere.

Sehr cool gemacht finde ich auch die Perspektivenwechsel. Zum Einen erlebt man die Geschehnisse der Gegenwart, also aus 2015, wenn Laura und Kit anonym leben und Zwillinge erwarten. Und dann erfährt man noch im Rückblick die Geschichte von vor 15 Jahren, kurz nachdem die beiden sich kennenlernten und als sie Zeuge von etwas Schrecklichem wurden. Wie sowohl die Zeit als auch der Erzähler (Laura und Kit) wechseln, das war schon nett gemacht und vor allem gut durchdacht. Dabei war es nie so, dass ich mich über einen Zeitensprung aufgeregt habe, denn eigentlich war alles gleich interessant, ich wollte bei jedem Handlungsstrang wissen, wie es weitergeht und was nun passiert.

Auch die Charaktere finde ich gut gemacht. Ich könnte von niemandem behaupten, dass er oder sie mir unglaublich sympathisch wäre, aber irgendwie sind sie mir doch ans Herz gewachsen, besonders Laura und Kit. Das merkte ich daran, wie ich den beiden ein Happy End wünschte. Gut finde ich aber, wie realistisch die beiden gezeichnet sind. Beide haben ihre Fehler und Eigenarten und werden dadurch einmalig. Genauso interessant fand ich aber auch Beth und Jamie. bei beiden habe ich anfangs nicht durchblicken können, wie sie tatsächlich sind, aber später kristallisiert sich dann ein schärferes Bild von ihnen heraus. Eigentlich von allen. Das machte es wirklich spannend. Ansonsten lernt man kaum Charaktere kennen. Zwar sind da noch Lauras beste Freundin Ling und Mac, Kits Zwillingsbruder, aber sie sind doch sehr unwichtig, spielen nur eine unbedeutende Rolle. Irgendwie waren mir diese vier Menschen in der Geschichte aber trotzdem ausreichend, seltsam. Sonst ist mir das oft zu wenig...

Insgesamt hat mir das Buch trotz anfänglicher Skepsis echt gut gefallen. Ja, es fängt ein wenig schwerfällig an, aber dann blüht die Geschichte richtig auf, wird spannend und wartet außerdem mit einem gut durchdachten, überraschenden Twist auf. Und mich zu überraschen gelingt nicht mehr vielen Büchern, also Chapeau :)