Rezension

Fake it 'til you make it

My friend Anna - Rachel Deloache Williams

My friend Anna
von Rachel Deloache Williams

Bewertet mit 3 Sternen

... man könnte denken, dass sich der Titel meiner Rezension auf die in 2019 verurteilte Betrügerin Anna Sorokin (aka Anna Delvey) bezieht, die sich schamlos Waren, Dienstleistungen und Hotelübernachtungen im Wert mehrerer Hunderttausend Dollar erschlich. Allerdings trifft er genauso auf die Autorin, die ehemalige Freundin von Anna, Rachel Williams, zu. Denn ihr Buch ist, wie die vermeintliche Hauptfigur Anna, mehr Schein als Sein.

Anstatt die Hintergründe von Anna, ihren Charakter, ihre - immerhin angedeuteten - Zusammenbrüche zu erklären bzw. zu hinterfragen, ergeht sich die Autorin in schamloser Selbstdarstellung. Eigentlich geht es nur um IHRE Geschichte, wie sie Anna kennengelernt hat, wie sie dazu kam, fast sämtliche Kosten eines gemeinsamen Marokko-Urlaubs zu bezahlen, zu dem eigentlich Anna eingeladen hatte, wie sie danach versucht, das Geld zurückzuerhalten und schließlich hilft, Anna festnehmen zu lassen. 

Über Anna erfährt der Leser nur die Fakten. Dafür muss er seitenweise sich wiederholende Textnachrichten zwischen den ehemaligen Freundinnen lesen und sich fragen, was die Autorin alles verschweigt. Anfangs erwähnt sie Probleme mit ihrem Freund, hinterher steht er ihr (irgendwie mehr halbherzig) bei - was ist das für eine kühle Beziehung? Wieso bekommt sie keinerlei Probleme auf der Arbeit, als sie Urlaubskosten von über 16000 Doller auf ihre dienstliche Kreditkarte buchen lässt? Was fand sie an Anna? Und wenn es nur das Geld und ein beneidenswerter Lebenswandel war - warum gibt sie das nicht einfach zu? Und wenn sie - wiederholend - behauptet, dass Anna ihr Leben zerstört hat, dass ALLES auf der Kippe steht - warum nennt sie nicht einen Punkt, irgendeine Tatsache, die dafür Indiz wäre? 

Wo der Leser das Buch (wahrscheinlich) kauft, um mehr über Anna zu erfahren - ihre Motive, Taktiken, ihre Geschichte - erfährt er nur immer mehr und mehr über Rachel und muss zunehmend den Kopf schütteln. Es gipfelt in ihrer Recherche über Anna ('Operation Klarheit'), die eigentlich nur aus einer Zusammenstellung aller Nachrichten und Social Media Posts von Anna besteht, die sie der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stellt und für die sich sich wahnsinnig wichtig nimmt. Vielleicht wäre 'Agentin' - wie sie sich als Kind erträumt hatte - ja immer noch eine alternative Berufswahl? Vielleicht wäre das tatsächlich besser als Schriftstellerin.

Dennoch drei Sterne weil es nichtsdestotrotz ein interessantes Thema ist, das viel, viel mehr Potential gehabt hätte.