Rezension

Fall löst sich von selbst

Erwartung, DER MARCO-EFFEKT - Jussi Adler-Olsen

Erwartung, DER MARCO-EFFEKT
von Jussi Adler-Olsen

Bewertet mit 4 Sternen

"Erwartung - Der Marco Effekt" ist bereits der fünfte Fall für Carl Morck und seine Kollegen Assad und Rose. Letztere soll mehr und mehr in die aktive Ermittlungsarbeit eingeführt werden. Nach einer ihrer ersten Personenbefragungen findet Rose ein Flugblatt, auf dem eine Jugendliche nach ihren Stiefvater fahndet. Rose Intuition trügt sie nicht, denn auch der 15-jähriger Marco, illegaler Einwanderer und Mitglied eines kriminellen Clans, hat mit diesem Fall zu tun. Er hat die Leiche des gesuchten Mannes aufgespürt und ist seitdem auf der Flucht. Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, bei dem keiner ahnt, dass die Kreise dieses Falles noch viel weiter ziehen.

Der Einstieg in den fünften Band um Carl Morck ist ungewöhnlich. Nach bestimmt 50 gelesenen Seiten taucht mein heiß geliebtes Ermittlertrio erstmals auf. Bis dahin wird der Fall dieses Bandes konsequent vorbereitet. Das wirkt zunächst zäh, weil einfach die lockere Art von Carl, Assad und Rose fehlt, aber im Endeffekt begreift man, wie wichtig es war so lange und ausführlich auf das Geschehen vorbereitet worden zu sein.

Das Highlight dieses Buches ist schnell ausgemacht: es ist alles rund um Marco. Man lernt ihn bereits während seiner Clanarbeit kennen, bei denen er als der beste Taschendieb gilt und dennoch merkt man, dass man es hier mit einem Jungen zu tun hat, der eigentlich Moralvorstellungen hat, der ein gutes Leben ohne Kriminalität führen will und der unheimlich intelligent ist. Diese sympathische Figur, die man 90% des Krimis auf ihrer Flucht begleitet, trägt die Geschichte wunderbar. Marcos Kapitel sind Hochspannung pur, man merkt wie man regelrecht mitfiebert und wie Marco ganz einfach zum Helden wird.

Der Fall, der darum gestrickt wird, ist ebenfalls spannend. Es handelt sich nicht um einen Fall aus Eifersuchts- oder Rachemotiven, stattdessen bekommt man einen hochkomplexen Fall geliefert, in dem zig Täter mitwirken mit ganz unterschiedlichen Motiven. Zwar geht es zu keinem Zeitpunkt für den Leser darum, zu spekulieren, wer denn der Täter ist, denn der Großteil der Fakten liegen durchgängig offen auf dem Tisch, aber man begleitet wie sich die multiplen Täter gegenseitig ausspielen und fiebert mit, wer letztlich wirklich gefasst wird und für seinen Taten gerade stehen muss, wer entkommt oder wer vom Täter selbst zum Opfer wird.

Das Problem bei der ganzen Sache ist nur, dass die Ermittlungsarbeit, die Carl, Assad und Rose sonst leisten, sehr kurz kommt. Spitz gesagt (wie es auch meine Überschrift für diese Rezension wiederspiegelt) löst sich der Fall praktisch von selbst, weil sich alle gegenseitig ausschalten. Das war für mich während des Leseprozesses kein großes Drama, aber in der Rückblende fällt das deutlich ins Auge. Carl war überwiegend mit sich selbst, seinen neuen Chef und seinem neuen Mitarbeiter beschäftigt und dadurch blieb für anderes auch kaum Zeit. Aber dennoch wird der Leser mit der genialen Dynamik der drei weiterhin konfrontiert und am Ende kommt es auch zum großen Showdown, in dem die drei Helden sein dürfen. Aber sie haben nicht DIE dominante Rolle eingenommen, wie sie es in den Vorgängerbänden getan haben.

Fazit: Es wird ein hochkomplexer Fall geboten, der in einem etwas zähen Beginn aufwendig vorbereitet wird. Wer Opfer, wer Täter ist, ist stets klar, aber es ist spannend zu verfolgen, wie all diese untereinander agieren, denn jeder ist letztlich Einzelkämpfer. Marco wird zum aufopferungsvollen Helden, der in einer nervenzehrenden Verfolgungsjagd um seinen Aussteig aus dem kriminellen Geschäft kämpft und man hat das beliebte Ermittlertrio, das doch etwas kurz kommt, weil sich der Fall praktisch von selbst löst. Dennoch ist "Erwartung" ein absoluter Lesegenuss, in dem jeder Krimifan auf seine Kosten kommt!