Rezension

Falsche Erwartungen

Erinnerung an den Wald - Damir Karakas

Erinnerung an den Wald
von Damir Karakas

Bewertet mit 2.5 Sternen

Ein jugoslawisches Dorf schätzungsweise in den 60er Jahren: Das Leben ist rau und arbeitsreich besonders für einen Jungen aus dem bäuerlichen Milieu, mit einem Vater, den er einfach nicht zufrieden stellen kann. Doch umso wertvoller sind die kleinen Dinge, wie eine heimlich gehörte Fußballübertragung aus dem Radio oder den ersten Warmwasserboiler im Dorf zu besitzen.

Die Angaben auf dem Klappentext sind hier leider ein bisschen aus dem Ruder gelaufen. Manche der dort aufgezählten Inhalte werden im Roman selbst nur ein einziges mal eher nebenbei erwähnt, sind also nicht sehr charakteristisch. „Geprägt“ von „Aberglaube und Hexerei“ und „verdrehten Seelen“ (was diese sein sollen, weiß ich auch nach der Lektüre nicht) ist das dörfliche Leben schon mal gar nicht. Das führte dazu, dass ich mit falschen Erwartungen an diesen kurzen Roman gegangen bin. Denn anders als einen verträumten Jungen in einer poetischen Welt mit „schneelosen apokalyptischen Wintern“ schlägt die Realität beim lesen eher hart zu. Die Sprache ist mal erstaunlich derb, die Inhalte mal erstaunlich brutal. Das trifft zwar bestimmt die Lebensrealität eines jugoslawischen Bauernjungen dieser Zeit, hat aber mit der vom Klappentext versprochenen Geschichte wenig zu tun.

Gut fand ich aber die Erläuterungen einiger jugoslawischer Begriffe hinten im Buch und auch die Perspektive des Jungen ist gelungen: Die Distanz zu seinen Eltern und besonders dem stets unzufriedenen, zur Gewalt neigenden Vater ist anschaulich geschildert. Die kleinen Freuden, die in der Regel verboten sind, wie Kino, Coca-Cola oder Fußball. Die Unsicherheit bezüglich seiner Herzkrankheit, die ihm niemand jemals genau erklärt hat, die Arbeit auf dem Hof oder die Marotten bestimmter Dorfbewohner. All das ist recht nüchtern geschildert, erzeugt aber trotzdem eine gewisse Sympathie für die Figuren allgemein und den Erzähler im Besonderen.

Etwas schade fand ich, dass die Geschichte keinen wirklichen Punkt hat. Unser ich-Erzähler schildert Episoden aus seinem Leben, die mal mehr und mal weniger prägsam sind. Man lernt seine Lebensrealität dabei recht gut kennen aber das war es auch. Es gibt kaum Entwicklung und die Erzählung hätte eigentlich an jedem beliebigen Punkt aufhören können, da es nicht auf etwas bestimmtes hinausläuft – außer man möchte das Ende großzügig interpretieren.

Für mich war „Erinnerung an den Wald“ leider ein eher enttäuschendes Leseerlebnis. Zwar war die Perspektive interessant aber ich habe mir hier eine weit stimmungsvollere Erzählung erwartet, die weniger Episodenhaft ist. Wer sich dennoch für diesen Roman interessiert, sollte einmal kurz reinlesen. Hier bekommt man schon von den ersten Seiten einen guten Einblick in den Stil und die Geschichte, die einen erwartet.